Arzt und Medikus

Alberigo Tuccillo Sprache, Wissenschaft 4 Kommentare

Intuition und Sprachgefühl können leicht dazu verführen, das Wort ‹Arzt› für das germanische zu halten und ‹Medikus› für einen aus dem Lateinischen hergeleiteten wissenschaftlichen Kunstbegriff. In Wahrheit verhält es sich fast umgekehrt.

Das altgriechische Wort ‹ἰατρός› [iatrós] (Heilender) war in der griechischen Antike die generelle Bezeichnung für alle Heilkundigen, auch für die zwielichtigen Wunderheiler mit angeblichen übernatürlichen Kräften. Es ist daher nicht erstaunlich, dass der Ausdruck bereits in hellenistischer Zeit vor allem für Betrüger und Scharlatane verwendet wurde und zum Schimpfwort verkam. In der heutigen deutschen Sprache tritt ‹iater› lediglich als Endung in den Bezeichnungen für Spezialärzte wie Pädiater, Kinderarzt, aus ‹παῖς› [país] (Kind) und ‹ἰατρός› [iatrós] (Heiler), Geriater, Spezialarzt für Alterskrankheiten, aus ‹γέρων› [gerōn] (alt), Psychiater, aus ‹ψυχή› [psychē] (Seele, Atem, Leben).

Die seriösen, in anerkannten Schulen ausgebildeten Heiler hingegen — beispielsweise die Armee-, Stadt-, Hof- und Leibärzte — trugen im antiken Griechenland, später in der römischen Kaiserzeit und im Mittelalter am Königshof der Merowinger den Titel ‹Archiater›. Die Silbe ‹ἀρχ› [arch], die wir auch in Architekt, Archimedes, Archipel, Archetyp, Patriarch finden, ist von ‹ἀρχή› [arché] (Anfang, Ursprung, Herkunft, Bedeutendster) abgeleitet und bildet auch die althochdeutsche, mittelhochdeutsche und neuhochdeutsche Silbe ‹erzi, erz›, wie in Erzengel, Erzbischof, Erzfeind, Eisenerz. Aus ‹Archiater› ist dann Althochdeutsch ‹archter› und Mittelhochdeutsch ‹arzeter›, schließlich Neuhochdeutsch ‹Arzt› geworden. Ebenso wie der Beruf des Arztes wurde die Bezeichnung ‹Arzt› in frühneuhochdeutscher Zeit erneut stark abgewertet und nahm die Bedeutung von Kurpfuscher, Quacksalber bis hin zum Marktschreier an. Erst im 17. Jahrhundert trat dann allmählich ein Wandel hin zu mehr Wertschätzung für Beruf und Begriff ein.

In der Zeit, in der das Wort ‹Arzt› besonders negativ konnotiert war, versuchte der Berufsstand die eigene Reputation und das Ansehen durch andere Begriffe aufzuwerten. Ein Brauch kam auf, sich ‹doctor› zu nennen, was in einigen Sprachräumen noch heute die übliche Bezeichnung für den Arzt ist. Dies führte jedoch zu einer Ungenauigkeit, denn  ‹doctor› ist vom lateinischen Verb ‹docere› (beibringen, dozieren, belehren) abgeleitet und bedeutet schlicht ‹Gelehrter›. Zudem waren mit ‹doctores› ursprünglich vornehmlich Theologen und Juristen gemeint. Ein weiterer Brauch kam auf, sich ‹medicus› zu nennen, was auf der einen Seite in seiner eigentlichen Bedeutung weniger bekannt war, auf der anderen Seite noch viel weniger scharf und genau war als ‹doctor›. ‹Medicus› bedeutete nämlich: ‹derjenige, der Abhilfe schafft›, ‹derjenige, der weiß, was zu tun ist›, ‹einer, der die Lösung für irgendetwas findet›. Aus der indoeuropäischen Wurzel ‹*md› (genau hinsehen, sich einer Sache zuwenden, sich um etwas kümmern, ermessen) leiten sich — ohne es hier ausführlich abhandeln zu wollen — eine Vielzahl von Wörtern und Wortstämmen moderner Sprachen ab: meditieren, Mediation, Medium, Medien, medial, mediatisch, Medizin, Mitte, Mittel, vermitteln, mittelbar, Milieu, Meridian, Intermezzo, messen, Maß, gemäß und zahllose mehr.

Als im 17. Jahrhundert das Wort ‹Arzt› aufgewertet wurde, begann ‹Medikus›, welches es eigentlich hätte ersetzen und vom negativen Beigeschmack befreien sollen, seinerseits allmählich zu verkommen und mit der Zeit bloß ironisch einen unfähigen Mediziner zu bezeichnen, der seine Unzulänglichkeit mit pompösen und meistens holen lateinischen Wörtern kaschiert.

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