August

Alberigo Tuccillo Literatur

Mein letztes Geld hatte ich für zwei Schachteln Zigaretten, zwei Dosen Bier, ein Sandwich und eine halbe Tankfüllung ausgegeben. Das würde von Basel nach Rapperswil ausreichen — aber wohl nicht ganz zurück.

In der sengenden Hitze eines Samstagnachmittags im August fuhr ich zum Seenachtsfest, eben nach Rapperswil. Mein klappriger R4 war ein Backofen, das Steuerrad so heiß, dass ich es kaum festhalten konnte, und aus der Lüftung blies warmer Gestank nach Verbranntem.

In Zürich war wie üblich Stau.

Mit Cäcilia hatte ich manchmal nächtelang durchdiskutiert, bis es hell wurde — am Horizont und in uns. Über Gott und die Welt, wie man sagt. Und ab und zu hatten wir uns geliebt, ohne zu diskutieren, ebenfalls nächtelang, ebenfalls bis es hell wurde. Aber dann verloren wir uns immer wieder aus den Augen. Wir waren kein Paar geworden und wurden nie eins.

Wenn wir uns zufällig begegneten, auf einem Fest oder auf der Heimfahrt aus verschiedenen Urlaubsorten, setzten wir unsere seltsame Beziehung einfach fort, berauschend, frenetisch. Sie endete, wenn ich anderntags Turnschuhe kaufen ging oder sie zur Dentalhygiene.

Wir verstanden uns auf Anhieb und merkten es nicht.

Es war ein Fehler gewesen, ihr nie eine Liebeserklärung, vielleicht sogar einen Heiratsantrag gemacht zu haben.

Einmal waren wir uns in Rapperswil am Seenachtsfest nach einem Unterbruch von mehreren Monaten wieder begegnet. Da musste ich einen Augenblick lang daran gedacht haben, es ihr zu sagen. Ihr zu sagen, dass ich sie liebte.

Dazu kam es jedoch nicht.

Sie hatte zwei Tage zuvor standesamtlich geheiratet. Am Samstag darauf würde die Hochzeit in der Kirche folgen.

Sie hatte es irgendwie beiläufig gesagt. Es klang wie: «Morgen kann ich nicht. Da bin ich bei meiner Tante eingeladen. Vielleicht ein andermal.»

«Schön», hatte ich darauf geantwortet. «Schön, dann treffen wir uns eben in zehn Jahren. Hier an dieser Stelle.»

Und jetzt, da die zehn Jahre verstrichen waren, ich fast so lange schon in Basel wohnte, die lange Zeit kaum je an sie gedacht hatte, fuhr ich, kopfschüttelnd über mich selbst, in der drückenden Schwüle eines aufziehenden Gewitters dem Zürichsee entlang. Es war feuchtheiß, das Hemd klebte und der Sessel war zu einem Sitzbad geworden.

Ich versuchte mich zu erinnern, was Cäcilia denn auf meinen Vorschlag, uns in zehn Jahren an derselben Stelle zu treffen, geantwortet hatte. Aber das Einzige, was ich noch sicher wusste, war, dass sie herzhaft gelacht hatte. Vielleicht hatte sie gar keine Antwort gegeben.

Als ich von Pfäffikon über den Damm fuhr, war der Himmel schwarz. Es war in wenigen Minuten fast Nacht geworden. Auf dem See schäumten die Wellen. Es blitzte.

Eine Parklücke fand ich sofort. Gleich beim Bahnhof. Ein Espace war gerade weggefahren, und ich konnte drei oder vier Wartenden den Platz vor der Nase wegschnappen, bevor diese merkten, dass er ein paar Sekunden lang frei geworden war.

Trotz des nahenden Unwetters war dann zu Fuß im Gewühl fast kein Durchkommen. Die halbe Ostschweiz hatte sich da eingefunden und schien darauf zu vertrauen, dass die schwarzen Wolken bald abziehen würden.

Ich irrte wie ziellos zwischen den Ständen umher, ließ mich vom Menschenstrom treiben, fand die Stelle nicht, wo wir zehn Jahre zuvor gestanden hatten. Vielleicht gab es sie gar nicht mehr. Am Seeufer war ziemlich viel umgebaut worden. Wahrscheinlich hatte ich es längst aufgegeben, die Stelle und Cäcilia überhaupt zu suchen.

Da sah ich sie. Nicht da, wo wir vereinbart hatten. Aber es war sie.

Cäcilia.

Abgemagert, ausgemergelt, müde. Sie hatte nichts mehr von ihrer einstigen Schönheit. Und doch war sie schöner denn je. Drei Kinder hingen an ihr wie schwere Früchte an einem schwachen Ast. Drei Mädchen. Schätzungsweise in Abständen von zwei Jahren. Die Kleinste hatte sie auf dem Arm. Die andern beiden klammerten sich links und rechts an ihre Jeans.

Sie sah mich, wartete. Ich ging auf sie zu.

«Wir sind eben aus Basel gekommen», sagte sie, ohne Gruß.

«Aha, aus Basel.» Ich nickte, lächelte und konnte nicht verstehen, warum es immer noch nicht regnete.

Die Größere sah mich etwas argwöhnisch an und drückte ihren Kopf gegen die Hüfte der Mutter. Dann fragte sie: «Mami, ist das jetzt der, der ganz sicher nicht kommt?»