Das Haar in Suppe und… Ei

Alberigo TuccilloSprache 6 Kommentare

Wer ein Haar in der Suppe sucht, ist pedantisch, pingelig, kleinlich, übergenau, aber auch in gewisser Weise unlauter, unredlich, denn es geht dem jede Suppe durchforschenden Haarsuchenden mitnichten darum, die Wahrheit zu ergründen, sondern bloß hartnäckig nach einem fadenscheinigen Grund zu trachten, mit dem die vorgefasste Ablehnung eines Arguments, eines Gedankens, einer Ansicht begründet werden kann. — Das sprachliche Bild jedoch, mit dem man die Nervensägen charakterisieren möchte, die mit vordergründiger Liebe zur Präzision bloß sabotieren und alles schlecht machen, was sie aus ganz anderen Gründen nicht vertragen, ist aber nicht sehr passend. Ein wirkliches Haar in einer wirklichen Suppe zu entdecken — gleichgültig, ob es vom Koch, vom Kellner oder von einem selbst stammt —, ist schlicht und einfach etwas Widerliches. Niemand würde jemanden je zeihen, ein Suppenkaspar zu sein, bloß weil er die Suppe nicht auslöffeln wollte, in der ein Haar schwimmt.

Dass Vergleiche im Allgemeinen hinken und dass Redewendungen oft nicht sehr genau illustrieren, was sie eigentlich meinen, weiß man, aber ohne selbst um jeden Preis ein Haar in der Suppe suchen zu wollen, muss man sagen, dass diese Wendung besonders weit neben das Ziel schießt.

Woher kommt sie und wie ist sie überhaupt entstanden? — Sie ist aus dem Italienischen entnommen und — weil man die italienische Version nicht verstand — hyperkorrigiert, mithin verfälscht worden.

Die italienische Wendung, auf die sie zurückgeht, lautet: ‹Cercare un pelo nell’uovo›, (ein Haar im Ei suchen)! 

Auf der einen Seite entspricht einer, der ein Haar nicht in einer Suppe, sondern in einem Ei sucht, was er niemals finden wird, in der Tat dem Bild des unerträglichen Nörglers viel eher, andererseits bringt man auch für die deutsche Bodenständigkeit ein gewisses Verständnis auf, wenn diese sich sagte: «Der haarige Vergleich geht uns Teutonen entschieden zu weit! Wenn die südlandischen Phantasten Eier an den Haaren herbeiziehen wollen, um Pedanten zu kritisieren, kochen wir doch unser eigenes Süppchen!»

Was jedoch diese Deutschen nicht wussten (und um ehrlich zu sein, die Italiener auch nicht oder wenigstens nicht mehr), ist, dass mit dem Haar im Ei nicht ein Kopf- oder Bart-, Scham- oder Achselhaar gemeint war, sondern ein Haarriss! (‹Pelo› bedeutet auf Italienisch sowohl Haar als auch Haarriss!)

Auf mittelalterlichen Märkten gab es den gefürchteten und allgemein verhassten Ei-Kontrolleur oder Eier-Prüfer. Die Bauern, die Eier auf dem Markt verkaufen wollten, mussten ihre Ware von diesem kontrollieren lassen. Der hielt die Eier gegen das Licht und suchte und suchte, bis er irgendwo einen feinen Riss entdeckte. Eier, die einen noch so feinen, unbedeutenden oder auch bloß behaupteten, gar nicht existenten Riss aufwiesen, wurden konfisziert und behutsam in eine Kiste der Beweismittel, der ‹Corpora delictorum› gelegt. Nicht zu Unrecht waren sich alle einig, dass das Haar im Ei nicht gesucht wurde, um potentielle Käufer vor Salmonellen-Infektionen zu schützen, sondern um den Eierbedarf des Kontrolleurs zu decken.

Kommentare 6

  1. Faszinierend, welche Bedeutung sich hinter dieser sattsam bekannten Redewendung verbirgt! Vielen Dank für deine Aufklärung.

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      Danke, liebe Silke! Auch dafür, dass du deine Kommentare hier ins Kommentarfeld schreibst! Das bringt meinen Blog im Google-Ranking ein bisschen weiter nach oben.

  2. Einmal mehr keine Haarspalterei, sondern ein überaus interessanter und lehrreicher Beitrag! Herzlichen Dank, Alberigo.
    By the way: hat der Ausdruck „Haarspalterei“ im Entferntesten auch etwas damit zu tun?

    1. … wahrscheinlich sucht mann das haar in der suppe nur, damit er es anschliessend genüsslich spalten kann …

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      Danke, Sabina. ‹Haarspalterei› taucht im 16. Jahrhundert zuerst bei Anatomen auf, die begannen, Leichen zu sezieren. Die Instrumente, die sie anfänglich zur Verfügung hatten, erlaubten es nicht, gewisse Strukturen so fein zu zerlegen, wie ihre Neugier es wollte. — Die Wendung warnt eigentlich vor übertriebenem Anspruch an die Möglichkeit der Analyse: Das Teilen beziehungsweise Spalten eines Haares wäre übertrieben kleinlich. (Die Redensart ist auch sehr schnell bei den Anatomen aufgegeben und von der allgemeinen Sprache übernommen worden, weil den Forschern sehr wohl unglaublich schnell gelang, feinste Strukturen, zum Teil feiner als ein Haar, zu spalten!)

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