Eine Erklärung für die umgangssprachliche, neuere und ziemlich kuriose Verwendung des Adverbs ‹eh› als Synonym für ‹sowieso, ohnehin, ohnedies, selbstverständlich› zu finden, war alles andere als einfach. Viele Nachschlagewerke geben diese Bedeutung gar nicht an. Auch die einst nicht sehr zuverlässige und ziemlich unbefriedigende Plattform, ‹das freie Wörterbuch Wiktionary›, das sich inzwischen aber zu einem ganz praktischen und durchaus wertvollen Arbeitsinstrument für linguistische Nachforschungen entwickelt hat, gibt für ‹eh› einzig die vertrautere, gewöhnlichere Bedeutung von ‹bevor› (Konjunktion) an. In der gesuchten Bedeutung hingegen gibt Wiktionary ‹eh› bloß unter dem Stichwort ‹ohnedies› als ein mögliches Synonym an, ohne allerdings eine Erklärung für die rätselhafte Sinnverschiebung zu wagen. Duden erwähnt zwar die neue umgangssprachliche Bedeutung, behauptet, deren Verwendung sei auf den süddeutschen und österreichischen Sprachraum beschränkt — was meiner Ansicht nach zumindest heute nicht mehr den Tatsachen entspricht —, doch eine Erklärung für mysteriöse Wandlung von ‹bevor› zu ‹sowieso› gibt auch das Standardwerk der deutschen Sprache nicht.
Das Wort ‹ēh› oder ‹ē› ist bereits im Mittelhochdeutschen sehr häufig und bedeutet ‹vormals, früher, in der Vergangenheit›. Auch Neuhochdeutsch, etwa bei Luther, ist ‹eh› noch häufiger als das später aufkommende Synonym ‹bevor›, welches es mit der Zeit ersetzen und schließlich fast vollkommen verdrängen wird. Fortbestehen wird das Wort ‹eh› vorwiegend in Zusammensetzungen wie ‹ehedem›, ‹ehemals›, ‹ehemalig›. Immer war und ist das Bedeutungsfeld aber auf das Vorausgehen in einer temporalen Abfolge und niemals auf die Negation eines kausalen Zusammenhangs beschränkt.
Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hier kurz und knapp erwähnt, dass das Substantiv ‹Ehe›, das Adjektiv ‹ehelich› und das Verb ‹ehelichen› einen ganz anderen Ursprung haben. Althochdeutsch ‹ēwa› bedeutete ‹Ewigkeit› und Mittelhochdeutsch ‹ēwe› ‹beständig, haltbar, dauerhaft, ehern›. — Ich denke, dass die Etymologie von ‹Ehe›, die bis zu der protoindoeuropäischen Wurzel verfolgt werden kann und auch Wörter wie ‹Ära› hervorgebracht hat, dereinst einen eigenen Artikel verdient. Halten wir vorerst bloß fest, dass zwischen ‹eh› und ‹Ehe› kein etymologischer Zusammenhang besteht.
Und nun zu meinem Versuch, den umgangssprachlichen Bedeutungswandel von ‹bevor› zu ‹sowieso› zu erklären. Ich muss hier ehrlicherweise gestehen, dass ich keine konkreten Hinweise und schon gar keine Belege für meine Annahme besitze; daher ist meine Vermutung noch reine Spekulation. — Wenn wir meinen (selbstverständlich absichtlich so gewählten) Titel zu diesem Artikel ansehen, fällt auf, dass man hier das Wort ‹eh› sowohl im alten Sinn mit ‹vorher schon› als auch im umgangssprachlich neuen mit ‹ohnehin› ersetzen kann, ohne die Bedeutung zu verändern. Ob die meisten etwas Bestimmtes wussten, bevor ich meine Erklärung gab (temporal) oder ob sie es auch ohne meine Erklärung wussten (kausal), verändert die Bedeutung nicht. So kann jemand sagen: «Das hättest du mir gar nicht erzählen müssen. Das habe ich eh gewusst.» Auch hier kann ‹eh› die Bedeutung von ‹vorher› haben. Als diese Verwendung sich jedoch verallgemeinerte und auf andere Situationen übertragen wurde, kam es jedoch zum eigentlichen Bedeutungswandel. Wenn jemand sagt: «Disziplinierteres Lernen hätte dem Dummkopf nicht viel genützt — er hätte die Prüfung eh nicht bestanden!», kann die temporale Abfolge nicht gemeint sein.
Ähnliche Artikel in ‹Linguistische Amuse-Bouche› edition kalliope, ISBN 9783755735601:
Hier zu bestellen:
https://tuccillo.ch/kontakt/
Kommentare 3
Ja eh!, sagt der Österreicher, wenn für ihn etwas sowieso schon klar war.
Scho?! antwortet hingegen der St.Galler Rheintaler auf eine Nachricht, wenn wir wenig weiter westlich schabernödwahr sagen würden. Auch «schon» kann also sowohl zeitlich als auch ganz anders konnotiert sein.
Author
Danke für das Feedback!
Dass es in der Sprachentwicklung selbstverständlich immer wieder Bedeutungsverschiebungen gibt, ist für Linguistinnen und Linguisten tägliches Brot. Es genügt allerdings nicht, dass eine Erklärung, die man für den Grund einer solchen Veränderung findet oder gefunden zu haben glaubt, einleuchtend und überzeugend ist. Solange es keinen Beleg gibt, darf aus wissenschaftlicher Sicht eine bloße Vermutung nicht zur Theorie erhoben werden.
Als ich aufwuchs (in Zürich) wurde das eh nie gebraucht, oder ich habe es nie gehört. Die Generation um 1980 und später benutzten und benutzen das eh sehr oft.
Mir selbst bleibt es fremd. Sowieso ist was ich einsetzte.