Im Gegensatz zu anderen Bezeichnungen für ein Volk oder für verschiedene Volksgruppen, die später eine Nation bilden würden, ist das Wort ‹deutsch› nicht von einem bestimmten Volks- oder Stammesnamen abgeleitet, sondern geht auf einen alten Wortstamm mit der Bedeutung ‹Volk, Stamm› zurück. Das Adjektiv — auf Althochdeutsch ‹diutisc›, auf Mittelhochdeutsch ‹diutisch› oder ‹tiutsch›, auf Niederländisch ‹duits(ch)› (daraus leitet sich Englisch ‹Dutch› für Holländisch ab) — ist seit dem 9. Jahrhundert bezeugt und steht neben dem schon im 7. Jahrhundert belegten mittellateinischen ‹theodiscus› (zum Volk gehörig, volksgemäß, für das Volk) — zum Beispiel: Mittellateinisch ‹theodisca lingua› (Sprache des Volkes) war die amtliche Bezeichnung der germanischen Sprachen im Reich Karls des Großen.
Wieso gab es offenbar eine Notwendigkeit, ein gemeinsames Adjektiv zu verwenden, das sich gleichzeitig auf verschiedene Völker mit verschiedener Kultur und verschiedener Sprachen bezog? — Nun, was diesen zwar germanischen, aber grundverschiedenen Völkern gemeinsam war, war der Umstand, dass der weitaus größte Teil der Bevölkerung die lateinische Amtssprache, in der Gesetze, Dekrete, Erlasse, Verträge verfasst, Gerichtsverhandlungen geführt und Urteile verkündet wurden, nicht verstand. Damit Bauern, Handwerker, Händler, Soldaten, Diener, Wirte, Fuhrleute und Matrosen verstanden, was die Obrigkeit jeweils verfügt hatte, mussten für sie Mitteilungen und Befehle in ihre Sprache übersetzt, verständlich und deutbar gemacht, deutsch und deutlich gesagt werden! Und tatsächlich leitet sich ‹deutsch› vom Verb ‹deuten› ab: Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch ‹diuten› (zeigen, erklären, übersetzen, ausdrücken, bedeuten), Niederländisch ‹duiden› (aufzeigen, auslegen), Altenglisch ‹điedan› (übersetzen), Schwedisch ‹tyda› (auslegen, erklären, hinweisen) gehören zur Wortfamilie um das germanische Substantiv ‹*þeudō-› (Volk); Althochdeutsch gibt es bereits den Ausdruck ‹githiuti› (in der allgemeinverständlichen Sprache des Volkes). Die Grundbedeutung dieses Wortes war wohl: Etwas für das Volk verständlich machen. Und die Deutschen waren all jene, denen man etwas auf Deutsch sagen musste, damit sie es verstanden.
In der Auseinandersetzung zwischen West- und Ostfranken ist das Wort ‹deutsch› zur Gesamtbezeichnung der Stammessprachen im Osten des Frankenreichs, dem späteren Deutschland, geworden.
Ableitungen: Mittelhochdeutsch ‹vertūtschen› (verdeutschen, ins Deutsche übersetzen) und ‹diutschen› (deutlich sagen, erklären). Mittelhochdeutsch ‹daʒ tiutsche lant› (der Osten des Reichs der Franken, der Teil des Reichs, wo die Leute, im Gegensatz zum Westen, kein Latein, kein Vulgärlatein und keine sich gerade etablierende romanische Sprache verstanden, später Deutschland).
Das englische Wort für ‹deutsch› ist ‹German› und meint nicht das allgemeinere ‹germanisch›, schließt also Dänisch, Isländisch, Norwegisch, Schwedisch nicht mit ein. Das von ‹deutsch› direkt abgeleitete englische Wort ‹Dutch› meint hingegen nur ‹holländisch›.
Französisch ‹allemand›, Spanisch ‹alemán› und Türkisch ‹almanca› leiten sich von ‹alemannisch› ab, wodurch die Dialekte des deutschsprachigen Südwestens, der Schweiz, Badens und Württembergs, des Elsass, des Südwestens Bayerns und Vorarlbergs verallgemeinernd auf ganz Deutschland ausgedehnt werden. In ähnlicher Weise wurden in der Vergangenheit mancherorts und fälschlich alle Deutschen als Preußen bezeichnet und in der Schweiz, gelegentlich und ebenso falsch, heute noch alle Deutschen als Schwaben.
Das italienische Adjektiv ‹tedesco› ist die Übernahme der Latinisierung für ‹deutsch› ‹theotiscus› oder ‹teotiscus› (kontaminiert mit ‹teutonisch›).
In osteuropäischen, vornehmlich slawischen Sprachen haben die Bezeichnungen für ‹deutsch› eine auffallende Ähnlichkeit: Polnisch ‹niemiecki›, Tschechisch ‹němec›, Slowakisch ‹nemecký›, Ungarisch ‹német›. Das slawische Wort ‹niemcy› stammt von der indoeuropäischen Wurzel ‹*nem-› ab, was ‹nicht verstehen und nicht richtig sprechen können› bedeutet. Mit dem Begriff ‹niemcy› bezeichneten Slawen ursprünglich nicht bloß die Germanen, sondern alle, mit denen sie Verständigungsschwierigkeiten hatten.
Die Finnen nennen die Deutschen ‹saksalaiset›. Da steckt ‹sächsisch› drin. Das finnische Wort ‹saksa› geht auf den Stamm der in Norddeutschland ansässigen Sachsen zurück. Vom 13. Jahrhundert an trieben die Sachsen und die Finnen im Ostseeraum und in der norddeutschen Hanse Handel miteinander. Die deutschen Hansekaufleute stellten sich den Finnen mit der Bezeichnung Sachsen vor; deshalb wurde das Wort ‹saksa› im Finnischen früher auch in der Bedeutung ‹Kaufmann› verwendet.
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