Die sieben Bundesrätinnen

Alberigo Tuccillo Kunst und Kultur, Musik Schreibe einen Kommentar

Alberigo Tuccillo (Text), David Wohnlich (Musik) 

Singspiel-Monolog für eine singende Flötistin und einen singenden Pianisten 

Ich sitze am Straßenhang. 
Der Fahrer wechselt das Rad. 
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. 
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre. 
Warum sehe ich den Radwechsel 
mit Ungeduld? 
Bertolt Brecht 

Ich sitze am Straßenhang. 
Der Fahrer wechselt das Rad. 
Ich war gern, wo ich herkomme. 
Ich bin gern, wo ich hinfahre. 
Ich sehe den Radwechsel
ohne Ungeduld. 
Alberigo Tuccillo

Ohne ein deutliches Zeichen des Anfangs beginnt der Pianist (sehr leise, unauffällig und gefällig) im Hintergrund zu improvisieren. Die Schauspielerin tritt ebenfalls dergestalt auf, dass nicht vollkommen oder nicht sofort klar wird, ob das, was die Akteure gerade tun, noch Vorbereitungen zum Stück sind, oder ob das Stück schon angefangen hat. Sie hantiert mit den wenigen Requisiten, macht die Instrumente bereit. Sie wechselt Blicke mit dem Pianisten, schaut zum Publikum, überblickt, nickt — alles ruhig und beruhigend, gemächlich. Während dieser Aktivitäten spricht sie mit kräftiger Stimme und dennoch wie zu sich selbst: 

Einen Entschluss fassen. 

Pause. Macht irgendetwas. 

Alles Nötige einpacken. 

Pause. Macht irgendetwas. Spricht jetzt erst zum Publikum: 

Noch einmal nachschauen, wo der Ort denn genau liegt, wo man hingehen möchte… 

Pause. Macht irgendetwas. 

… und wie man am besten dorthin kommt. Dann: Aufbrechen.  

Pause. Macht irgendetwas. Spricht jetzt zum Publikum: 

Das ist die Vorstellung, die man von einem Aufbruch hat: Man wählt ein Ziel, rüstet sich für die Reise, bricht auf. 

Meistens ist es anders. Bei mir wenigstens. Man wird sich irgendwann gewahr, dass man unterwegs ist — dass man schon lange unterwegs ist. Man merkt allmählich, dass man bereits ganz nützliche Vorkehrungen getroffen hat. — Ich bin nicht völlig ungewappnet auf meiner Reise. Ich bin gerüstet, gestiefelt und gespornt. Das ist tröstlich. Beruhigend. Ermutigend. Und da ich mich doch mit allem ausgestattet habe, was sich unterwegs als nötig erweist, habe ich die Reise also von langer Hand geplant. 

Inzwischen ist offensichtlich, dass das Spiel bereits im Gang ist. Der Pianist hält sich noch stärker zurück. 

Doch ganz so einfach ist es nicht. — Die Frage begleitet mich auf dem Weg: Wann bin ich denn überhaupt aufgebrochen? Seit wann bin ich denn unterwegs? Seit 1990? 1984? 1971? 1848? 1499? Oder sogar seit 1291? 

Es ist schon merkwürdig, dass der Aufbruch als eine Folge des Unterwegsseins scheint, vielmehr als umgekehrt, aber ich kann nicht einmal mit Sicherheit sagen, wohin genau mich die Reise führt und wer mich auf meinem Weg begleitet. Sicher ist nur: Ich bin dieser Weg. 

Kurze Klavierimprovisation. 

Allein bin ich allerdings nicht! — Allegorien. Sie sind da. Waren die ganze Zeit da. Nicht immer gleich gegenwärtig, aber auch nie ganz vergessen.  

Die Allegorien… 

Die Schauspielerin holt aus dem Hintergrund das Gestell mit den ‹Basler Helgen›. Der Pianist eilt ihr freundlich — zwar unnötigerweise, doch ohne sie zu gängeln — zur Hilfe. Sie weist die Hilfe ebenso freundlich wie resolut ab: Sie ist nicht genervt, macht aber klar, dass sie allein zurechtkommt. Der Pianist geht an seinen Platz zurück. 

Man traut uns noch immer sehr wenig wirklich zu. 

Als ich neulich mein Auto zum Mechaniker brachte, weil der Motor nicht rund lief, und ich ihm sagte, dass mit der Zündspule oder den Kerzen etwas nicht in Ordnung sei, sagte er salbungsvoll schmunzelnd: «Geben Sie mir ruhig den Schlüssel und machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich seh‘ schon nach, ob es die Kerzen sind oder vielleicht der ganze Baumschmuck.» Er konnte es sich nicht verkneifen, seine Neckerei mit einem Kichern zu garnieren. Als ich den Wagen am Abend abholte, sagte der Mechaniker: «Der läuft wieder wie geschmiert und geölt. Sagen Sie Ihrem Herrn Gemahl einen lieben Gruß. Und: Er hatte Recht, es waren tatsächlich die Kerzen.»  

Aber eigentlich wollte ich etwas zu den Allegorien sagen. Nun, das also sind Allegorien…   

Ach, das möchte ich zu dem, was man uns nicht zutraut, doch noch schnell loswerden: Der Werkstattchef, von dem ich eben sprach, war sehr höflich. Zuvorkommend, galant, scharmant — irgendwie vermittelte er mir das Gefühl, mich ernst zu nehmen, oder auch bloß, mich ernst nehmen zu wollen. Irgendwie. Wenigstens nahm er eine gewisse Hilflosigkeit ernst, ohne zu unterschieden, um wessen Hilflosigkeit es sich handelte. Diskriminierung, jede Art von Diskriminierung kann sehr subtil, oft unbewusst und durchaus höflich daherkommen, und kann, vordergründig, sogar ein gewisses Wohlwollen, eine gewisse Anerkennung ausdrücken. Dann ist die Diskriminierung besonders perfid.  

Aber zurück zu den Allegorien: 

Die Schauspielerin zeigt langsam, mit Andacht, leicht verklärt die ‹Basler Helgen›. 

Zu Ehren der Bundespräsidentin die Argovia zuerst (wendet zum nächsten Blatt),

die Berna (wendet zum nächsten Blatt),

die Justitia (wendet zum nächsten Blatt),

die Fortuna (wendet zum nächsten Blatt),

Boethius‘ Philosophia (wendet zum nächsten Blatt),

Dantes Beatrice (wendet zum nächsten Blatt)

und das…, nein, das bin, entgegen der landläufigen Meinung, nicht ich; oh nein, das ist die Libertas (wendet zum nächsten Blatt).

Hier sehen wir sie als Marianne, die ‹Enfants de la Patrie› anführen (wendet zum nächsten Blatt),

hier in bescheidener Größe im nahen Colmar (wendet zum nächsten Blatt),

und hier, wie sie majestätisch, erhaben, strahlend, von New York aus die Sehnsucht der Menschheit immerzu nährt und ausdörrt. 

Alles Frauen. Frauenfiguren. Figuren, die Ideen, Visionen, philosophische Begriffe, Hoffnungen, Gewissheiten, Haltungen, Gesinnungen personifizieren. Ideen und Visionen von Männern. Ausschließlich von Männern. Männer hatten die Ideen und wählten Frauen, um sie darzustellen. — Genau wie dieses Stück: Ich spiele es, zwei Männer haben es sich ausgedacht und einer begleitet mich, gutmütig, auf einem nicht hürdenlosen Weg.  

Nun, diese drei Männer sind — im besten Sinne des Wortes — vergleichsweise harmlos. Harmlos, weil sie niemandem ‹Harm› zufügen wollen. ‹Harm› ist ein veraltetes, nunmehr unvertrautes Wort. Wir brauchen es nicht mehr oder glauben, es nicht mehr zu brauchen. Wir bezeichnen das, was es einst bezeichnete, nicht mehr, doch das Bezeichnete ist, ob wir es bezeichnen wollen oder nicht, immer noch da: Not, Leid, Beklemmung, Schaden, ‹Harm› eben. — Wer keinen Harm zufügen will, ist, wie der Garagist, für den wir eine Lanze brechen oder dem wir eine Kerze zünden, harmlos.  

Dass es allerdings nicht genügt, keinen Harm zufügen zu wollen, um wirklich harmlos zu sein, ist auch unumstößlich.  

Vorerst gab es nur einen Weg: Die Allegorien mussten die Ideen, die sie darstellten, selbst übernehmen. Sie konnten nicht länger in Marmor gehauen, in Öl gemalt, in Bronze gegossen starr und reglos einem Denken dienen, das die Hälfte der potenziellen Denkleistung des Landes von vornherein ausgeschlossen hatte.  

Eine Frau setzte zum Flug an. Ihr Flügel trug sie nicht. Aber die nächste stach schon hervor, hob ab und schwang sich empor. 

Der Pianist kündigt das Lied an. (Nur den Titel.) 

Elisabeth 

Aufrecht schritt ich auf meinem Weg nach oben — 
Weg, den eine, vor mir, bestimmt war zu gehn. 
Heute wieg ich auf, was uns Frauen diente,  
nur meinen Enkeln. 

Kann die Frau für Gleichheit der Rechte kämpfen 
und der alten Ordnung gehorchen? Freilich 
löst das Schwert den gordischen Knoten, denn ich 
bin seine Gattin. 

Hehre Freiheit sah die Bastille in Gleichheit: 
Schwestern selbst solln brüderlich sein! In Freiheit 
sahen Denker Einigkeit, Recht und Staatskunst — 
ich nur die Treue. 

Meine Reise, zu der ich nie oder seit jeher aufgebrochen war, ging weiter.  

Vor einigen Jahren war ich an einer mehrtägigen Weiterbildungs-veranstaltung. Als wir das Hotel, wo wir untergebracht waren, betraten, spielte im Foyer ein einnehmender, hübscher junger Mann auf einem verstimmten Klavier. — Schlecht. Sehr schlecht.  

Eine alltägliche Peinlichkeit, die man nicht durch einen überflüssigen Kommentar zum Ereignis erheben sollte. Doch bevor ich dazu kam, mich darüber erschöpfend auszuschweigen, legte die Kollegin, die neben mir stand, ihre Reisetasche auf den Boden und begann zu tänzeln und der Spur nach einen Rhythmus zu klatschen, der eine vage Ähnlichkeit mit dem Klavierspiel hatte.  

Ihr gefiel das Spiel offensichtlich. Vielleicht auch bloß der Pianist. Beides wäre legitim. Und auch das müsste man weder kommentieren noch im Gedächtnis festhalten.  

Doch dann entfuhr es ihr — durchaus wohlwollend, freundlich, sogar liebevoll: «Die haben die Musik einfach im Blut!»  

Das ist, auch wenn — wie schon anfangs angedeutet — keine Absicht zum Harm besteht, nicht harmlos. Das ist Rassismus: wohlwollender, freundlicher, sogar liebevoller, aber eben doch eindeutiger Rassismus.  

Meine Kollegin kannte den Pianisten nicht und wusste rein gar nichts über ihn! Was sie sah, war lediglich seine dunkle Hautfarbe. Und der Weg vom Feststellen eines offenkundigen Merkmals zum Unterstellen anderer Eigenschaften, die man in einem irrtümlichen und irren Zusammenhang sieht, ist ein Irrtum; oft ein viel schmerzlicherer und leidvollerer, als wenn man einem Unbegabten genetisch vorbestimmte Musikalität andichtet.  

Das hingegen ist uns angeboren: Wir alle neigen dazu, Kategorien zu erfinden und die Menschen einzuteilen. In Männer und Frauen, in Schwarze und Weiße, in die grundwesenhaft verschiedenen, wahrscheinlich stammesgeschichtlich schon früh getrennten Groß-basler und Kleinbasler…   

Aber von diesem belastenden und beklemmenden Denken entfernen wir uns nach und nach. Auch das ist mein Weg.  

Wir alle sind entweder Linkshänderinnen oder rothaarig, haben das absolute Musikgehör oder einen Tinnitus, sind Seherinnen oder farbenblind, sind am 29. Februar geboren oder haben eine Zwillingsschwester, können uns Gesichter einfach nicht merken oder können selbst alte Telefonnummern nicht vergessen, sind frühreif oder zünden spät, haben eine seltene Allergie oder ein noch selteneres Talent, haben Migrationshintergrund oder glauben, seit Jahrhunderten hier verwurzelt zu sein… — Es gibt niemanden — nicht eine einzige Bürgerin, einen einzigen Bürger! —, die oder der nicht einer Minderheit oder sogar mehreren Minderheiten angehört! Es gibt nichts Gewöhnlicheres, als anders zu sein. Unsere Einzigartigkeit ist schlicht banal.  

Eine Frau trat an, das Besondere zum Allgemeinen und das Allgemeine zum Besonderen zu erheben, Schweigende hörbar zu machen. 

Der Pianist kündigt das Lied an. (Nur den Titel.) 

Ruth 

Soll ich dich deinem Kolibri vergleichen, 
der einen Steppenbrand mit Tränen tilgt? 
Die Kühnheit lässt die Löwen selbst erbleichen, 
doch kein Versuch die Wut der Flammen stillt! 

Als Vöglein einsam löschst — nicht zu Legionen! —, 
was Tausende von Schurken weltweit sengen.  
Die Zähren sammelst ruhig, wo wir wohnen — 
wirkst da, wo Seuchen wüten, Fehden mengen. 

Versuchst die Welt zu läutern und entgiften,  
um Schergen und Tyrannen einst so weit  
zu bringen, dass sie selber Frieden stiften:  
Die meisten Menschen sind in Minderheit. 

Auf diesem Weg verlässt dich nie der Mut:  
Dein reiner Sinn bleibt selbst im Scheitern gut. 

Meine Reise, zu der ich nie oder seit jeher aufgebrochen war, ging weiter.  

Der Weg war bis ins Innerste aller Bürgerinnen und Bürger spürbar befreiend gewesen, auch wenn die Frage immer entschiedener aus den Zeitungsartikeln verbannt wurde, wer sich wovon befreien musste.  

Emanzipation. Ein alter, häufig verwendeter und selten begriffener Begriff.  

Ein Sklave wurde nach altrömischem Brauchtum, wenn es die Umstände erlaubten und vor allem wenn es dem Herrn gerade passte, emanzipiert, in die vermeintliche Freiheit entlassen. Das bedeutete in der Regel, dass der Sklave nun kein Sklave mehr war und das Recht hatte, seinerseits einen Sklaven zu kaufen.  

Was er denn meistens auch tat.  

So war der einzelne Sklave zwar von seinem persönlichen Sklaven-dasein befreit, der alte und der neue Herr nicht von der Sklaverei; und erst recht nicht der Sklavenhändler.  

Das Bundesgericht hat 1990 die Appenzeller ebenso befreit wie die Appenzellerinnen, weil es Appenzell die Freiheit gewährte, in der Gemeinschaft einer freieren Welt und eines freieren Landes eingeschlossen zu werden.  

Boethius‘ Philosophia stieg vom Postament, behielt ihren Zauber und spendete ihm weiterhin Trost, nahm ihm jedoch die Feder ab und schrieb mit ihm weiter. 

Der Pianist kündigt das Lied an. (Nur den Titel.) 

Micheline  

Kaum jemand verstand, 
dass du einen Schleier trugst, 
um zu entschleiern. 

Mit immer Neuem 
und doch beharrlich Gleichem 
mauserst du die Welt. 

Gelehrsam lehrend 
schließt du einen Kreis und kehrst 
zur Lehre zurück: 

Macht zu besetzen, 
sie allein zu verwalten, 
nicht zu besitzen. 

Der Mohn verneigt sich 
in Demut und weist den Wind, 
wohin ihm beliebt. 

Mutter und Staatsfrau,  
Pythia und Amazone, 
still erschallt dein Wort. 

Wenn ich dich meine, 
meine ich nicht dich allein, 
sondern was du bist. 

Meine Reise, zu der ich nie oder seit jeher aufgebrochen war, ging weiter. 

Fortschreiten und Entwicklung ist ein Spiel zwischen Gegensätzen: Wir sind, was unsere Eltern aus uns gemacht haben, und zugleich, was wir von uns aus geworden sind, indem wir Vorbilder verworfen haben. 

In der Kunst ist es genauso: Wir studieren die alten Meister und ihre Lehren, bis uns ihre Rahmenvorgaben zu eng werden, und aus Bach, Michelangelo und Walther von der Vogelweide keimen Stockhausen, Mondrian und Jandl. — So entwickelten sich auch die Wissenschaften von Euklid bis Hawking und die Menschenrechte vom Zylinder von Kyros bis zu deren allgemeinen Erklärung. 

Eine trat ein gewichtiges Erbe an, es zu hüten, ohne unter seiner Last einzubrechen, es zu umschreiben und es schließlich umzuschreiben. 

Der Pianist kündigt das Lied an. (Nur den Titel.) 

Eveline  

Von Delphi lag Korinth am Weges Ende! — 
nicht Theben oder Felsberg, wo’s mich hintrug, 
wo Vaters Weg mich führte zu der Wende! 

Ob Freundschaft mir beschieden, Neid, Betrug — 
Orakel pflegt‘ ich niemals zu befragen, 
noch hab‘ ich selbst gewusst, was kommen würde. 

Triumph ist Dienen, nicht das Überragen, 
und blindes Los war stets mir Lohn und Bürde: 
So blieb von harschen Dräuern nichts als Schein, 

als ich beharrlich schuf, wenn andre logen, 
wir hätten sie verraten: Ich blieb rein — 
Familie, Bund und Bünden nur gewogen. 

Meine Reise, zu der ich nie oder seit jeher aufgebrochen war, ging weiter. 

Das Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit ist immer auch Streben nach Schönheit, denn Erkenntnis und Ethik sind nie von der Ästhetik zu trennen.  

So wahr es ist, dass es Dinge gibt, worüber man nicht sprechen kann, so wahr ist es auch, dass diese Dinge nicht nachlassen, Lösungen zu fordern, bloß weil man über sie schweigt. Und jenseits der Grenzen der Wissenschaft erstrecken sich die Künste, die das Unaussprechliche ausdrücken und die unsere Kultur ebenso nähren wie Industrie, Wirtschaft und Forschung. 

Eine Künstlerseele trat auf die Bühne. 

Der Pianist kündigt das Lied an. (Nur den Titel.) 

Simonetta  

Auf jede Stimme, die in deine Hand 
gelegt ist, horchst du mit der gleichen Acht, 
da hebst hervor, hältst dort zurück, bedacht, 
zu deuten, was sie trennte und verband. 

Du setzt Akzente, fügst dich ein im Chor 
und hältst den Kontrapunkt dir stets vor Ohren, 
begleitest Sieger, jene, die verloren, 
und jene, die so klug als wie zuvor. 

Devot besinnt sich stets in der Reprise, 
was durchgeführt, auf Ursprung und auf Streben: 
machst klar, was du entwickelst, und auch, wie. 

Mit Umsicht suchst den Grundton aus der Krise, 
und hält man dir auch vor, getrennt zu leben, 
löst du den Vorhalt auf in Harmonie. 

Meine Reise, zu der ich nie oder seit jeher aufgebrochen war, ging weiter. 

Bestimmt wird sich die neue Führung des FC Basel wünschen, dass die Anhänger auch dann so zahlreich in den St.-Jakob-Park strömen und ihre Mannschaft unbeirrt anfeuern werden, wenn Rekorde und Erfolge der vergangenen Jahre nicht mehr fortzusetzen, oder wenigstens nicht mehr zu überbieten sind. Konstanz ist Treue, schafft Vertrauen und Sicherheit — Zusammenhalt. 

Unberechenbare Führungen, die ohne nachvollziehbaren Grund von internationalen Verträgen zurücktreten, die ein Vorgänger unterschrieben hat, können über die Grenzen hinaus Angst und Schrecken verbreiten, die dem Terror kaum nachstehen, den sie zu bekämpfen vorgeben. 

In der Schweiz nicht denkbar. Wir tun uns zwar lange schwer, irgendwo beizutreten, aber wenn wir einmal ein Abonnement gekauft haben, lassen wir kaum einen Anlass ungenutzt verstreichen. 

Wir halten uns so zwanghaft an das schillersche Bonmot: ‹Drum prüfe, wer sich ewig bindet›, dass man gelegentlich dazwischenrufen möchte: ‹Drum binde endlich, wer nicht ewig prüfen will!›. 

Beherzt ging die Frau der Tat Bindungen ein und fuhr fort, Schritt und Fortschritt zu prüfen. 

Der Pianist kündigt das Lied an. (Nur den Titel.) 

Doris  

Ohne Kinder ist Altern 
vielleicht Einsamsein 

Du warst dir nicht zu schade 
dein Bier  
an den Stammtisch zu tragen 
standest ein 
für gedichtetes Wohnen 
auch als man sagte 
nach der Röhre sei dort 
die Transit-Hölle los 

Alle Wege führen 
nicht nur nach Rom 

Wie Cäsar umgibst dich  
mit Starken und lässt  
sie das Beste in dir  
zum Leuchten bringen 
anders als Augias räumst auf 
mistest Stallung und Stellung 
fegst ohne zu feuern 

Ein großer Schritt für uns 
ein kleiner für das Klima 

Dein frischer Wind 
hält kleinen Riesen stand 
mit Wort und Fähnchen 
gibst mit erneuerbarer Zuversicht
Brief und Siegel 
trotz des Gegners Ems und Eifer 
für viel Blaues vom Himmel 

Meine Reise, zu der ich nie oder seit jeher aufgebrochen war, ging weiter. 

Die Eltern eines Jungen waren Süditaliener. Für ihn waren seine Eltern typische Süditaliener, weil es eben die Süditaliener waren, die er am besten kannte.  

Sie waren bieder, etwas spießig, wortkarg, vertrugen keinen Lärm, keine laute Musik, kein ausgelassenes Gelächter. Sie waren immer pünktlich und erzogen ihre Kinder zur Pünktlichkeit. Sie waren tolerant.  

Dass der Vater Kommunist war, im ‹Circolo› mit den Genossen lange Diskussionen über den Klassenkampf führte und die Mutter eine streng gläubige Katholikin, die in der ‹Missione Cattolica› Katechismus unterrichtete und ab und zu auch kochte, hatte die beiden nie daran gehindert, einander zu respektieren, zu mögen und zu lieben, auch wenn sie für die Lebensansichten des Ehepartners nicht viel mehr als ein verhaltenes Kopfschütteln übrighatten.  

Als man dem Jungen in der Schule beibringen wollte, dass Süditaliener unordentlich, unpünktlich, lärmig und krankhaft eifersüchtig, dafür aber immer heiter und vergnügt seien, war er keineswegs beleidigt. Er fragte sich bloß, wie man zu einer so verblüffenden Behauptung hatte kommen können.   

Die Jüngste trat unversehens weltgewandt ins Rampenlicht, taktvoll den Takt anzugeben. 

Der Pianist kündigt das Lied an. (Nur den Titel.) 

Ruth 

Mann füttert rege die Raupe 
rechnet begierig 
mit deiner Seide 

Entpuppst du dich 
nicht nach Seinem Bilde 
lässt er dich flattern 

Weht es dich unverwundbar 
zur nächsten Blüte 
zeiht Er dich des Undanks 

«Du bist schlecht im Verlieren!» 
würgt gramvoll wider dich 
wer die Wunden leckt. 

Athletisch und polyglott 
hauchst du Ihm entgegen 
dein bewaffnendes Lächeln 

Meine Reise, zu der ich nie oder seit jeher aufgebrochen war, ging weiter.  

Die Fragen, die man stellte, waren nicht für alle die gleichen. Man fragte jeweils: «Macht er es gut?» und man fragte: «Macht sie es besser?» — Das allein ist der Grund, warum ihr besser seid: Weil ihr von vornherein besser sein musstet, um überhaupt sein zu dürfen. 

Der Pianist skandiert (ohne Pathos) die sieben Namen (fett kursiv): 

Sieben! Elisabeth. Die sieben Ämter sind würdig bekleidet, die sieben Throne vergeben. Ruth. Die Landesregierung ist komplett. Micheline. Was kümmert es mich auf meiner mehr als siebenhundert-jährigen Reise, dass nicht alle sieben noch im Amt sind und dass diese Regierung nach Kriterien des politischen Systems keine wirkliche, sondern eine virtuelle ist? Eveline. — Ist es denn einer Regierung versagt, die beste Regierung zu sein, bloß weil es sie zurzeit so nicht wirklich gibt? Simonetta. — Wirklich ist, was wirkt! Doris. Und möchte jemand dieser Regierung Wirkung, mithin Wirklichkeit absprechen? Ruth

Attacca subito: 

(Ohne weitere Ankündigung durch den Pianisten): 

Wenn ich dich meine, 
meine ich nicht dich allein,
sondern was du bist. 

Video-Aufnahme der Uraufführung (mit einer kurzen Ansprache der Bundesrätinnen Doris Leuthard und Simonetta Sommaruga):

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