Fasnacht und Karneval

Alberigo Tuccillo Gesellschaft, Sprache Schreibe einen Kommentar

Es ist bald soweit: der Karneval, die Fastnacht, Fassenacht, Fasnacht, Fasnet, der Fasching, Fastabend, Fastelovend, Fasteleer… steht vor der Tür. Für mich ein Anlass, die Wörter auf die Prüfbank zu spannen.

«Ha!», wird manche und mancher jetzt ausrufen, «Da macht er sich’s aber einmal ganz leicht! Die Wörter sind doch sonnenklar und winterfest! Was gibt’s da schon zu klären?» — Na ja, warten wir’s ab. Vielleicht stoßen wir doch noch auf einen schrägen Ton.

Die indoeuropäische Wurzel ‹*nok-› (Vorabend) ist eine der beständigsten der Linguistik überhaupt. Seit acht Jahrtausenden haben sich von dieser Wurzel die Ableitungen in den verschiedenen indoeuropäischen Sprachen weder semantisch noch phonetisch wesentlich verändert: Griechisch νύχτα [níchta], Lateinisch ‹nox, noctis›, Gotisch ‹nahts›, Alt- und Mittelhochdeutsch ‹naht›, Englisch ‹night›, Russisch ‹ночь› [nóch], Italienisch ‹notte›, Albanisch ‹natën›, Spanisch ‹noche›, Puter ‹not› und viele, viele mehr lassen ihre Abstammung mit Leichtigkeit erkennen und haben immer dieselbe Bedeutung, sogar die doppelte gleiche Bedeutung, nämlich als ‹Gegensatz zum Tag› und als ‹Vorabend›, das schwingt heute noch überall mit. — Was ‹fasten› bedeutet und dass nach der Fastnacht die Fastenzeit anfängt, wissen auch alle! Also was, bitteschön, gibt es da noch zu untersuchen und zu erläutern?

Nun, auch das Wort ‹fasten› ist sehr alt. Und es ist in einem großen Teil des germanischen Raums zweitausend Jahre lang ebenfalls fast unverändert geblieben: Gotisch ‹gafastan›, Althochdeutsch ‹fastēn›, Mittelhochdeutsch ‹vasten›. — Aber jetzt drängt sich die Frage auf: Was konnte in der Spätantike und im Frühmittelalter in Mittel- und Nordeuropa mit Fasten gemeint sein? Sich im Zusichnehmen von üppigen Speisen zurückhalten? Auf die schmackhaftesten und nahrhaftesten Gerichte verzichten? Die Kalorienzufuhr drosseln? Sich im Frönen lukullischer Genüsse mäßigen? Wohl kaum, denn das war, was der allergrößte Teil der Bevölkerung eher nolens als volens sowieso tat, und zwar das ganze Jahr! Dies galt, wenngleich in etwas milderem Maße, auch für Adelige, auch für Prälaten. Im ersten Jahrtausend der Zeitrechnung lebten und starben alle Menschen nördlich der Pyrenäen und nördlich des Apennins mit einem Magen, der so sehr ans Hungern gewöhnt war, dass er das Knurren verlernt oder nie gelernt hatte. Es hätte also keinen Sinn ergeben, durch einen institutionalisierten Brauch einer Gesellschaft eine Askese auferlegen zu wollen, zu der die Umstände sie bereits seit jeher zwangen. — Die Fastnacht gab es sprachlich aber zu jener Zeit bereits! Darum ist es nur billig und recht, die wirkliche und ursprüngliche Bedeutung von ‹fasten› zu ergründen.

Die indoeuropäische Wurzel, auf die ‹fasten› zurückgeht ist ‹*past-› (fest, sesshaft, nicht mehr nomadisch). Daraus leitet sich Lateinisch ‹pascere› (Vieh auf die Weide führen) ab, dann ‹pastor› (Hirte), ‹pascuum› (Weide) und die heutigen Wörter ‹pastoral›, ‹Pastor› etc. — Durch die erste Lautverschiebung p → f, auf die wir bereits in den ‹Amuse-Bouche› schon oft gestoßen sind, schlägt die Wurzel in den germanischen Sprachen eine andere Richtung ein: Immer stärker und deutlicher drückte Althochdeutsch ‹festi, fasti›, Mittelhochdeutsch ‹veste›, Altenglisch ‹fast› nicht so sehr die Sesshaftigkeit aus als vielmehr die Verbundenheit mit der Heimat und vor allem mit deren Bräuche und Sitten. Mit Fasten war ursprünglich das Einhalten, Beachten, Befolgen von Gesetzen, Geboten, Sitten gemeint.

Um welche Gebote und Sitten ging es? — Das nahende Ende des Winters war im Weltbild der germanischen Völker eine äußerst heikle Zeit, in der man die feindseligen Götter mit Opfern und Ritualen etwas milder stimmen musste, auf dass sie die Bauern von den häufigen meteorologischen Katastrophen verschonten. Gesetzbücher gab es zwar nicht, aber die mündlich überlieferten Vorschriften, die jede kleinste Einzelheit des Lebens regelten, waren so komplex, dass man leicht einen Fehler begehen konnte. Und wer einen Fehler begangen hatte, musste gar nicht erst auf den Zorn der Götter warten. Um die strenge, oft grausame Bestrafung eines Sündigen oder Fehlbaren kümmerten sich die nicht zimperlichen Stammesangehörigen, noch bevor Odin den Fehltritt überhaupt bemerkt hatte. — Fasten hieß ‹sich vorschriftsgemäß verhalten›, in der Zeit vor und um das Fruchtbarkeitsfest ganz besonders. Dass das Christentum später die Fastenzeit umdeutete und einverleibte, ist nichts Besonderes — das geschah schließlich auch mit Weihnachten und Ostern.

Nun trafen nicht nur bei den germanischen Völkern — aber bei den Germanen in besonders dramatischer Weise — gleich zwei Traditionen aufeinander: die vorausgehende lärmige Winteraustreibung und die darauffolgende streng geordnete Zeit der Ergebenheit und Fügsamkeit. Die Dynamik, die dazu führte, dass die Winteraustreibung im Hinblick auf die bevorstehenden Restriktionen mit ausgelassenem Treiben assoziiert wurde, war natürlich dieselbe wie in späteren Jahrhunderten, wenn das Fasten die heutige Bedeutung annehmen würde.

Eine ähnliche Missdeutung wie für die Fastnacht oder Fasnacht wird oft auch zur Erklärung des romanischen Karnevals angegeben. Es ist zwar richtig, dass sich das Wort aus ‹carne› (Fleisch) und ‹valere› (Wert haben, bedeutend sein) zusammensetzt. Mit Fleisch ist aber nicht ein Schweinebraten, Wurst oder eine Lammkeule gemeint! Englisch würde man sagen: Not meat but flesh. Es geht nicht um das Fleisch im Teller, sondern um das sündige Fleisch derer, die vor der langen entbehrungsreichen Zeit noch einmal richtig die Sau rauslassen wollen!

Weiteres zu Fasnacht auf Franziska Badertschers Website:

http://www.franziskabadertscher.ch/fasnacht-flintebutzerli2011-gugge.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert