Giftgrün

Alberigo TuccilloSprache 2 Kommentare

Himmelblau ist so blau wie der Himmel. Blutrot ist so rot wie das Blut. Schwefelgelb ist so gelb wie Schwefel. Nun ist zwar der Himmel je nach Tages- oder Jahreszeit und Witterung nicht immer gleich blau, das Blut einmal venös, einmal arteriell, jedenfalls nicht immer gleich rot, und wer nicht Chemikerin oder Apotheker ist, nicht gewohnheitsmäßig mit Schwefelblüten zu tun hat, weiß nicht auf Anhieb, welchen Gelbton genau man als den typisch schwefligen bezeichnet. Aber immerhin geben diese Zusätze zu den Farbbezeichnungen einen nachvollziehbaren, nicht widersinnigen, wenngleich sehr vagen und unpräzisen Hinweis auf das, was gemeint ist.

Anders steht es mit der Bezeichnung ‹Giftgrün›: Fast nichts Grünes, womit wir im Alltag in Berührung kommen, ist giftig. Spinat mag bei den Kleinen nicht die beliebteste Speise sein, und der Umstand hat wohl dazu beigetragen, dass der amerikanische Comic-Zeichner Elsie Segar sich zur Unterstützung verzweifelter Mütter die Trickfilmfigur Popeye ausgedacht hat, die aus dem Verzehr von Spinat jeweils übermenschliche Kräfte und ab und zu sogar die Gunst seiner begehrten Olivia gewinnt. Über den Spinat hinaus gibt es aber viele weitere Gemüse und Gewürze, die wir niemals mit Gift in Verbindung bringen würden: Gurken, Brokkoli, Feldsalat, Spargel, Rosenkohl, Petersilie, Schnittlauch, Thymian, Basilikum (!) — von Griechisch ‹βασιλικός› [basilikòs] (königlich)! Auch sonst verbinden wir das Grün eher mit Angenehmem, Belebendem, Gesundem als mit Bedrohlichem. Wir wohnen gern im Grünen; wenn eine Situation nicht mehr ganz ideal erscheint, sind wir doch sehr beruhigt, solange sie sich noch ‹im grünen Bereich› bewegt; und die ‹Grüne Wiese› sowie die ‹Grüne Witwe› sind allgemein beliebte erfrischende Cocktails.

Dennoch verbindet gelegentlich eine merkwürdige Assoziation die Farbe Grün mit Gefahr und Gesundheitsschädigung. Wenn beispielsweise Homer aus der Trickfilmserie ‹Die Simpsons› radioaktiv verstrahlt wird, nimmt er eine grüne Farbe an und alles, was radioaktiv ist, ist in der Simpson-Welt grün, obwohl in der Realität die radioaktiven Stoffe wie Uran, Plutonium, Thorium, Radium, Radon und andere so wenig grün sind wie die Strahlung selbst.

Dem war nicht immer so. Zuweilen galt das Zinnoberrot (Vermilion) als Farbe des Giftes, was auf die Verwendung von hochgiftigem Quecksilbersulfid (HgS) in der Malerei, bei der Herstellung von Tinte und von Kosmetika zurückzuführen war. Andernorts und zu anderer Zeit galt das ‹Berliner Blau› oder ‹Preußisch Blau, das eigentlich relativ schwach giftige Eisen-Hexacyanoferrat — das vornehmlich zur Färbung von militärischen Uniformen und als Wandfarbe verwendet wurde, das aber bei falscher Herstellung hochtoxische Cyanide freisetzt — als Giftfarbe. Ebenfalls als Giftfarbe bekannt war auch das Neapelgelb, das Bleiantimonat, das in der Renaissance-Malerei Verwendung fand und beim Einatmen oder Schlucken zu schweren, oft tödlichen Vergiftungen führte. Mit Gift und Vergiftung wurde in der Antike auch das an sich harmlose Purpur von Tyros, einem Sekret von Meeresschnecken, assoziiert, das zur Färbung von Kleidungen für hohe Würdenträger wie Priester und Könige verwendet wurde. Wenngleich Purpur von Tyros zwar zu Hautirritationen führte, aber nicht hochgradig giftig war, war das Herstellungsverfahren so gefährlich und gesundheitsschädigend, dass die Hersteller und Färber der Textilien jeweils ein kurzes Leben hatten.

Die Bezeichnung ‹Giftgrün› kam erst im 19. Jahrhundert auf und geht ursprünglich auf das sogenannte ‹Schweinfurter Grün› zurück, auch ‹Pariser Grün› genannt, eine leuchtend grüne Farbe auf der Basis von Kupferarsenit oder Kupferarsenat, also von hochgiftigen Arsenverbindungen.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Farben zum Einfärben und Bemalen von Tapeten, von Stoffen, von Spielzeug, Kleidern und sogar von Süßwaren eingesetzt. Menschen litten teils an Vergiftungen durch Ausdünstungen dieser Stoffe — mit Symptomen wie Hautreizungen, Atemnot oder sogar mit tödlichem Verlauf.

Im viktorianischen England wurden prachtvolle grüne Kleider mit diesem Farbstoff gefärbt. Näherinnen und Trägerinnen erkrankten schwer und viele starben — der Begriff ‹killer fashion› ist mehrfach historisch belegt.

Die auffällige, grelle Farbe wurde immer deutlicher mit Gefahr assoziiert. So entstand der Ausdruck ‹Giftgrün› sowohl wegen der Giftigkeit des Farbstoffs als auch wegen der visuellen Intensität als Warnfarbe.

Das Farbpigment, das ‹Schweinfurter Grün› — eine der schlimmsten Giftschleudern des 19. Jahrhunderts — wurde nicht nur von Künstlern wie Monet und van Gogh oft und gerne eingesetzt, sondern war auch in der Buchherstellung sehr populär, sodass die Trendfarbe nach Bekanntwerden ihrer Giftigkeit ganze Bibliotheken unter Handlungsdruck setzte. Die Bielefelder Universitätsbibliothek hat angekündigt, 60’000 Bände aus den Regalen zu nehmen: Bücher könnten giftig sein, und wer sich beim Umblättern die Finger mit der Zunge befeuchtet, würde möglicherweise zu Tode kommen. Obwohl bis jetzt über einen grausam schleichenden Fall von Bibliothekstod nichts bekannt ist, haben auch die Österreichische Nationalbibliothek und die Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek nachgezogen.

Immerhin hat das Bekanntwerden des Problems vor über vierzig Jahren Umberto Eco angeregt, in seinem Roman ‹Der Name der Rose› ein zwar mehrfach erwähntes, aber nie gefundenes Buch von Aristoteles zu erfinden und in der Klosterbibliothek der norditalienischen Benediktinerabtei zu platzieren. Dieses in Buch ist gleich doppelt gefährlich: erstens wegen seines Inhalts, der das Weltgefüge ins Wanken bringen könnte, und zweitens, weil seine Seiten (wie die späteren mit ‹Schweinfurter Grün›) vergiftet sind. Wer in dem Buch liest oder sich beim Umblättern gar die Finger an der Zunge befeuchtet, ist des Todes.

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Kommentare 2

  1. Grün ist doch die Farbe Mohameds…die grünen Flaggen der Terroristen etc…..Dann kam RAL, Pantone, MCS ….da sprach man nur noch in Nummern und Prozenten…

  2. Post
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    In meinem Artikel geht es nicht um die grüne Farbe und um deren möglichen Bedeutungen und Auslegungen, sondern allein um den etwas merkwürdigen Ausdruck ‹giftgrün›, weil die meisten Gifte nicht grün sind und vieles, was grün ist, nicht giftig ist.

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