Turing-Bruno

Giordano Bruno und Alan Turing

Alberigo Tuccillo Geschichte, Gesellschaft, Philosophie, Politik, Vermischtes, Wissenschaft 6 Kommentare

Als in Umberto Ecos ‹Der Name der Rose› der Novize und Ich-Erzähler Adson von Melk seinem Lehrer und Meister, dem Franziskanerpater William von Baskerville, gesteht, dass er für ein Bauernmädchen, das ihn zärtlich verführt hat und das er vor der Inquisition des Bernard Gui retten will, Gefühle hegt, die sich für einen Mönch nicht ziemen, ist der Schüler bereit und gefasst, Williams schärfste und strengste Rüge unterwürfig entgegenzunehmen. Der Tadel bleibt jedoch aus, oder er wird vom Meister wenigstens nicht ausgesprochen. Verunsichert fragt nun Adson, ob ihn, William, in seinem Leben denn nie die Liebe übermannt habe. «Oh ja…», sagt William, und Adson entfährt es, voll Hoffnung, die Erklärung für die Nachsicht oder sogar Konnivenz seines Lehrers nun zu bekommen: «Wirklich?!» — Doch für den Novizen etwas enttäuschend vollendet William seine Offenbarung: «… für Aristoteles, Vergil, Ovid…»

Gehen wir hier nicht näher auf Williams irreführendes und nicht ganz faires sprachliches Verwirrspiel ein, wodurch sich der ohnehin zerknirschte Adson noch erbärmlicher vorkommen muss. Nach William von Baskervilles Auslegung und Auffassung von ‹Liebe› zögere ich keinen Augenblick zu sagen, dass ich Giordano Bruno und Alan Turing zu den Menschen zähle, die ich in ihrem ganzen Wesen seit jeher innig und unvergänglich liebe.

Giordano Bruno (1548 – 1600) war ein Mönch, Priester, Dichter, Philosoph und Astronom. Er wurde durch die Inquisition der Ketzerei für schuldig befunden und zum Tod durch Verbrennen bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Er ist bekannt für seine kosmologischen Theorien, die das damals neue kopernikanische Modell erweiterten. Er schlug vor, dass die Sterne ferne Sonnen und von eigenen Planeten umgeben sind, und er stellte die Möglichkeit in den Raum, dass diese Planeten eigenes Leben hervorbringen könnten. Er bestand auch darauf, dass das Universum unendlich ist und daher kein Zentrum haben kann. Bruno postulierte die Unendlichkeit des Weltraums und die ewige Dauer des Universums. Damit stellte er sich mit diesem unitarischen Glauben der damals herrschenden Meinung einer in Sphären untergliederten geozentrischen Welt entgegen. Viel schwerer wog jedoch, dass seine pantheistischen Thesen von einer unendlichen materiellen Welt keinen Raum für ein Jenseits ließen, da zeitliche Anfangslosigkeit des Universums eine Schöpfung und deren ewiger Bestand ein Jüngstes Gericht ausschlossen. — Thesen, die zum Teil durch heutige astronomische Beobachtung bestätigt sind, und die sich auch sonst weniger kühn anhören als jede Astronomievorlesung an irgendeiner Universität auf der ganzen Welt. — Im Jahr 2000 rang sich Papst Johannes Paul II. nach Beratung mit dem päpstlichen Kulturrat und einer theologischen Kommission durch, die (euphemistisch ‹Hinrichtung› genannte) barbarische Ermordung nunmehr auch aus kirchlicher Sicht als Unrecht zu erklären. Nichts hinderte allerdings die katholische Kirche daran, Kardinal Robert Bellarmin, der sowohl Brunos Todesurteil als auch später Galileis Verurteilung unterzeichnet hatte, 1923 durch Papst Pius XI. selig- und 1930 heiligzusprechen. 

Alan Turing (1912 – 1954) war ein britischer Logiker, Mathematiker und gewissermaßen der erste Informatiker. Er war einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung und Erfinder der Informatik. Als richtungsweisend erwiesen sich auch seine Beiträge zur theoretischen Biologie. — Während des Zweiten Weltkrieges war er maßgeblich an der Entzifferung der mit der deutschen Rotor-Chiffriermaschine ‹Enigma› verschlüsselten deutschen Funksprüche beteiligt, was für das Ende des Nationalsozialismus mitentscheidend war. Der größte Teil seiner Arbeiten blieb auch nach Kriegsende unter Verschluss. — Turing entwickelte 1953 eines der ersten Schachprogramme, dessen Berechnungen er mangels entsprechender Hardware selbst vornahm. Nach ihm benannt ist der Turing-Test zum Überprüfen des Vorhandenseins von künstlicher Intelligenz. — 1952 wurde Turing wegen Homosexualität, die damals noch als Straftat verfolgt wurde, zur chemischen Kastration verurteilt. Turing erkrankte in Folge der Hormonbehandlung an einer schweren Depression und starb etwa zwei Jahre später unter ungeklärten Umständen. Weder Suizid noch Mord konnten mit Sicherheit ausgeschlossen werden. — Im Jahr 2009 sprach der damalige britische Premierminister Gordon Brown eine offizielle Entschuldigung im Namen der Regierung für die «entsetzliche Behandlung» Turings aus und würdigte dessen «außerordentliche Verdienste» während des Krieges. Eine ‹Begnadigung› (?) wurde aber noch 2011 trotz einer Petition abgelehnt. Am Weihnachtsabend, dem 24. Dezember 2013, sprach Königin Elisabeth II. postum ein ‹Royal Pardon› (eine königliche Begnadigung) aus.

Von Zeit zu Zeit werden die schändlichen Verbrechen an Giordano Bruno und an Alan Turing in der Presse, in Reden, in Filmen, Radio- und Fernsehsendungen, in Tagungen und in Kunstwerken angeprangert. Mich hat aber immer etwas daran gestört oder zumindest nicht vollkommen befriedigt — und ich konnte mir nie erklären, was es denn war, was mich an der doch dringend nötigen und überfälligen Denunzierung dieser abscheulichen Staatsdelikte irritierte.

Inzwischen weiß ich, woher mein Gefühl rührt: Giordano Bruno und Alan Turing waren wunderbare, sanftmütige, kluge, humorvolle, aufrichtige Menschen. Sie hatten unfassbare, unglaubliche Visionen, die sich erst viel später als richtig herausstellten und der menschlichen Erkenntnis ungeahnte Dimensionen eröffneten. Es waren Menschen, die man im Sinne William von Baskervilles schlicht und einfach lieben, ins Herz schließen muss. Und was man ihnen angetan hat, ist so schlimm, dass es dafür in keiner Sprache treffliche Wörter gibt. — Doch das Erste hat mit dem Zweiten nichts zu tun! Die Schandtaten der Kirche und der britischen Justiz und Regierung wären nicht minder verrucht, grauenvoll menschenverachtend und verdammenswert, wenn Bruno und Turing unsympathisch, dumm, humorlos und ungebildet gewesen wären und wenn sich sämtliche ihre Ideen als lächerlich falsch herausgestellt hätten.

Kommentare 6

  1. Das Leiden an der Ungerechtigkeit, an der Lüge, am Fehlen von Demut und Reue schmerzt über alle Maßen und dauerhaft, weil es Verbrechen gegen die Liebe sind.
    Danke, lieber Alberigo!

    1. Ich bin es, der dir Dank schuldet. Deine Worte, Angelika, erläutern genau das Gefühl, das mich zum Schreiben des Artikels bewogen hat.

    1. Post
      Author

      Ich danke dir, Guido! Wie viele Menschen, Männer und Frauen, erleiden doch, seit es den Homo Sapiens gibt, auf der ganzen Welt ähnliche Grausamkeiten wie Giordano Bruno und Alan Turing, und ihre Peiniger und Mörder werden nie zur Rechenschaft gezogen.

  2. Sehr Aufschlussreich, danke!
    Dabei muss von einer Dunkelziffer von Fällen gesprochen werden, die möglicherweise die „Hellziffer“ um ein Mehrfaches übersteigt.

    1. Sehr richtig, Toni! Genau aus dem Grund habe ich die letzten Zeilen geschrieben: «Die Schandtaten der Kirche und der britischen Justiz und Regierung wären nicht minder verrucht, grauenvoll menschenverachtend und verdammenswert, wenn Bruno und Turing unsympathisch, dumm, humorlos und ungebildet gewesen wären und wenn sich sämtliche ihre Ideen als lächerlich falsch herausgestellt hätten.» Die Unsympathischen, Dummen, Humorlosen, Ungebildeten und nicht Berühmten werden von den Mächtigen genauso verfolgt, bekämpft, vernichtet, wenn es der Macht gefällt. Aber es interessiert dann niemanden.

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