‹gehören› hat im aktuellen Sprachgebrauch folgende Bedeutungen:
- Eigentum von jemandem sein; ‹etwas gehört jemandem›, ‹Wem gehört denn dieses prunkvolle Schiff?›, ‹Er dachte, Kannitverstan sei der Name des Mannes, dem das Schiff gehörte.›
- Voraussetzung sein; ‹etwas gehört zu etwas›, ‹Zum Experiment gehört natürlich sowohl das Eichen der Messgeräte als auch das Reduzieren von Störfaktoren.›, ‹Zur Untersuchung eines Begriffs gehört selbstverständlich auch seine genaue Definition.›
- Teil von etwas sein; ‹etwas gehört zu etwas›, ‹Eine kurze einführende Präsentation der Gastrednerin durch den Veranstalter gehört zu einem Referat.›, ‹Zu einem guten Essen gehört ein passender Wein.›
- Etwas ist Teil der guten Manieren oder anerkannter Regeln; ‹etwas gehört sich›, ‹Mit diesem verschwitzten Hemd Gäste zu empfangen, gehört sich nicht.›, ‹Schmatz nicht! Das gehört sich nicht!›, ‹Frag doch zuerst um Erlaubnis, wie es sich gehört!›:
Umgangssprachlich ist ‹gehört› mitunter auch ein Synonym für ‹muss werden› oder ‹soll werden›: ‹diese Regel gehört abgeschafft› (diese Regel sollte abgeschafft werden), ‹der gehört in den Knast› (er sollte mit Gefängnis bestraft werden), ‹dem gehörte der Führerschein entzogen› (man müsste ihm den Führerschein entziehen), ‹diese Pflanze gehörte nicht gedüngt› (man müsste dieser Pflanze keinen Dünger geben), ‹dem Bengel gehört eins links und rechts um die Ohren (den frechen Buben sollte man ohrfeigen).
Dass ‹gehören› und ‹hören› etymologisch zusammenhängen, liegt zwar auf der Hand, doch wie kommt es von der einen zur anderen, scheinbar völlig verschiedenen Bedeutung?
Das althochdeutsche Verb für ‹hören› war ‹gihōran› oder ‹gihōr[r]en› und das mittelhochdeutsche ‹gihœ̄ren› oder ‹gehœ̄ren›. Die ersten Verse aus dem Hildebrandslied lauten: ‹Ik gihorta ðat seggen, / ðat sih urhettun ænon muotin, / Hiltibrant enti Haðubrant untar heriun tuem.› (Ich hörte sagen, dass zwei Krieger, Hildebrand und Hadubrand, zwischen zwei Heeren, aufeinanderstießen.) — In den meisten schweizerischen Dialekten ist das Verb ‹hören› heute noch ‹ghöre›. Das Verb bezeichnete noch ausschließlich das akustische Wahrnehmen. Und das Sinnesorgan der akustischen Wahrnehmung samt neurologischem Anteil heißt schließlich nicht ‹Hör›, sondern ‹Gehör›.
Die Zuordnung, die Zugehörigkeit und der Besitz wurden bis ins 14./15. Jahhundert nur durch die Possessivpronomina ausgedrückt. So zum Beispiel in einem Liebesbrief eines anonymen Verfassers des 12. Jahrhunderts (Tegernseer Briefsammlung der Bayerischen Staatsbibliothek [Codex Monacencis 19411, fol. 114]): ‹Dû bist mîn, ich bin dîn› (Du gehörst mir, ich gehöre dir)).
Aus dem althochdeutschen ‹gihōrren› oder ‹gihōrhen› entwickelte sich aber auch das ‹horchen›, also das nicht zufällige, beiläufige, sondern absichtliche und aufmerksame Hören, das genaue Hinhören. Und aus dem Horchen entstand bereits im 16. Jahrhundert das Gehorchen, das Befolgen von Befehlen und sich richten nach dem Willen eines Ranghöheren.
So kam es bereits im 16. Jahrhundert zu folgender Verwendung, mithin Bedeutungsverschiebung: «Dieser Hund gehocht diesem Herrn, also gehört er ihm.» Es ist zwar traurig, aber trotzdem Tatsache, dass dieser Gedanke nicht bloß für Hunde galt (und noch gilt), sondern auch für Soldaten, Sklaven, Leibeigene, Diener, Bedienstete, Kinder, Frauen. Sehr bald auch für Sachen: ‹Der Schirm gehört mir›, ‹Uns gehören 20% der Aktien›, ‹Wem gehört denn diese Villa?›, obwohl Schirme, Aktien und Villen nicht gehorsam sein und auch nicht zuhören können.