Hyperkorrektur

Alberigo TuccilloSprache 2 Kommentare

In einigen Artikeln war von ‹Hyperkorrektismus› oder ‹Hyperkorrektur› die Rede und ich habe den Begriff nicht klar genug erklärt und definiert, was verständlicherweise hin und wieder zu Missverständnissen geführt hat. Ich versuche das in der Sprachforschung häufig auftretende Phänomen hier nun besser zu beschreiben und gebe dafür auch ein Beispiel an, das meiner Meinung nach Klarheit schaffen sollte.

‹Hyperkorrektismus› oder ‹Hyperkorrektur› tritt auf, wenn Sprecherinnen und Sprecher ihren Sprachgebrauch an eine als vorbildlich angesehene Sprachvarietät anpassen und dabei eine über das Vorbild hinausgehende Veränderung vornehmen — wodurch aus Sicht der korrekten Sprachnorm dann ein Fehler resultiert. Der ursprünglich scherzhafte Ausdruck ‹verschlimmbessern› kommt dem Prinzip sehr nahe, doch es gibt da einen wesentlichen Unterschied: Beim Verschlimmbessern macht man im Versuch, etwas zu verbessern, aus etwas Falschem etwas noch Falscheres. Bei der Hyperkorrektur hingegen macht man aus etwas Richtigem, was man fälschlicherweise für falsch hält, durch vermeintliche Korrektur etwas tatsächlich Falsches. Hyperkorrekt meint also nicht allzu strenges, pedantisches, unnachgiebiges Festhalten an Korrektheit, sondern fälschlicherweise für korrekt halten, was nicht korrekt ist.

Und nun zum versprochenen Beispiel: Das Verb ‹tragen› — Althochdeutsch ‹tragan› (ziehen), Gotisch ‹dragan› (ziehen), Englisch ‹to draw› (ziehen), Mittelhochdeutsch ‹tragen› (Wandel zur heutigen Bedeutung) — wird als starkes Verb wie folgt flektiert: ich trage, du trägst, er trägt…; Präteritum: trug; Partizip: getragen. Wer ‹tragen› als schwaches Verb konjugieren würde — also: ich trage, du tragst, er tragt, noch schlimmer: ‹tragte› als Präteritum und ‹getragt› als Partizip —, würde einen argen Mangel an Sprachkompetenz verraten.

Hyperkorrekte dachten nun gelegentlich und manche denken noch heute, dass das Paradigma für ‹tragen› auch für ‹fragen› vorzuziehen wäre. Und so schufen sie den hyperkorrekten Unsinn: ich frage, du frägst, er frägt… und sogar er frug

Manches Nachschlagewerk gibt diese Formen denn auch als ‹weniger gebräuchliche Varianten› an, weil sie tatsächlich, obwohl selten, sogar in der Literatur verwendet wurden und werden. Ihre Einführung ist aber fraglos einer hyperkorrekten Fehlüberlegung geschuldet, denn ‹fragen› ist eine Entlehnung aus dem Lateinischen: ‹precare› (bitten) — Italienisch ‹pregare›, Französisch ‹prier› (bitten, beten) — und entlehnte Verben werden schwach und nicht stark konjugiert. Ein weiterer Hinweis darauf, dass es sich hierbei um einen hyperkorrigierten patzigen Eingriff handelt, ist darin zu sehen, dass es dem Hyperkorrekten in der Regel an Folgerichtigkeit und Konsequenz mangelt! Wenn die Hyperkorrigierenden nach der starken Konjugation ‹er frägt› und ‹er frug› sagen, müssten sie konsequenterweise im Perfekt auch ‹er hat gefragen› für richtig halten statt ‹er hat gefragt›. Dieses Partizip taucht aber selbst bei den eingefleischtesten Hyperkorrektorinnen und Hyperkorrektoren niemals auf.

Nun ist die Linguistik jedoch eine deskriptive (beschreibende) und nicht eine präskriptive (vorschreibende) Disziplin. Eine neue Regel ist ein Verstoß gegen die alte Regel, der inzwischen von der Mehrheit gepflegt wird. Sollten sich dereinst entgegen jeder Vernunft bei der Mehrheit der Sprechenden ‹frägt›, ‹frug› und ‹früge› durchsetzen und die korrekten Formen verdrängen, bliebe der Linguistik nichts anderes übrig, als dies zur Kenntnis zu nehmen. Freilich würde sie jedoch erklären, dass diese Form durch Hyperkorrektur entstanden ist.

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Kommentare 2

  1. es sind wohl die Superschlauen die so wirken….nachdem er frug verwandelte er sich in einen Frog

    1. Post
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      So ist es wohl. Wobei einige möglicherweise wirklich und in ehrlicher Absicht meinen, ihre Version sei die korrekte.

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