Italienische Städtenamen

Alberigo Tuccillo Sprache

Vor vielen Jahren saßen einer meiner Söhne und ich im Zug und unterhielten uns, wie wir es immer tun, auf Italienisch. Wir waren in Italien bei meinem Cousin Elio zu Besuch gewesen und waren nun auf der Heimreise. Im Abteil saß auch ein sehr sympathischer junger Mann, der, wie er uns bald verraten würde, unüberhörbar aus Köln (Ggöłłn) kam, vorhatte, in wenigen Wochen an der dortigen Universität das Studium der Romanistik zu beginnen, und nun, nach seinem Abitur, drei Monate in Italien gewesen war, um Italienisch zu lernen.

Ich hatte schon lange gemerkt, dass der junge Mann sehr interessiert und aufmerksam unserem belanglosen Plaudern lauschte, aber es störte mich nicht im Geringsten, denn irgendwie ahnte ich schon, dass es ihm nicht darum ging, Leute auszuhorchen, sondern dass er gewissermaßen am Lernen war.

Als ich meinem Sohn sagte, dass wir in drei Wochen zu meinem Schwager, seinem Onkel, nach Stoccarda reisen und dort ein paar Tage Ferien machen würden, schaffte es der angehende Romanist nicht mehr, still zuzuhören. Er schaute mich mit offenem Mund an, riss die Augen auf und fragte mich in ganz passablem Italienisch: «Skusi, posso tomantare dowe ä kwästa tschitta Stockharta?» — Ich erklärte ihm, dass Stoccarda der italienische Name für Stuttgart ist. Aber das konnte seine Verblüffung nur noch verstärken. Das sei ja so völlig verschieden, dass man gar nicht draufkommen könne, dass damit Stuttgart gemeint sei, entfuhr es ihm! Und in seiner Erregung und Neugier fragte er hastig, ob es denn noch weitere so bizarre Beispiele gebe. — «Ob sie bizarr sind, weiß ich nicht», sagte ich, «aber sehr viele weitere Beispiele gibt es schon: Köln heißt Colonia, Frankfurt heißt Francoforte, Mainz heißt Magonza, München heißt Monaco, Wien heißt Vienna, Zürich heißt Zurigo, Basel heißt Basilea, Paris heißt Parigi, Krakau Cracovia, Warschau Varsavia, Marseille Marsiglia, London Londra, Antwerpen Anversa, Lüttich Liegi und Den Haag L‘Aia

Da wurde ihm fast schwindlig. Er sah mich ungläubig an, als wäre er nicht sicher, ob ich ihm einen Bären aufbinden wollte. Dann sagte er auf Deutsch: «Italienisch ist eine wunderschöne Sprache, aber die Italiener sind manchmal doch recht merkwürdig! Warum tun die überhaupt sowas? Warum denken die sich denn solche Namen aus?»

Tja, wenn man wie ich eine Sprache sozusagen mit der Muttermilch eingesogen hat, dann merkt man gar nicht, dass es in ihr solche Kuriositäten gibt. Aber wenn ich nun darüber nachdenke, muss ich dem Kölner doch Recht geben. Erst jetzt werde ich mir wirklich gewahr, dass wir Torino sagen statt Turin, Genova statt Genua, Milano statt Mailand, Padova statt Padua, Venezia statt Venedig, Firenze statt Florenz, Roma statt Rom, Napoli statt Neapel… und ich hatte es vorher nie bemerkt.