Kleine Geschichte des Schimpfens und Fluchens

Alberigo TuccilloGeschichte, Gesellschaft, Sprache 4 Kommentare

Wissenschaftlich gesichert ist es selbstverständlich nicht, aber etwas anderes kann man sich denn auch kaum vorstellen, als dass die Geschichte der Schimpf- und Fluchwörter ebenso alt ist wie die menschliche Sprache selbst. Es ist sogar wahrscheinlich, dass der eigentliche Ursprung der Sprachfähigkeit im atavistischen Bedürfnis des Menschen liegt, über die angeborene, mehr oder weniger genetisch gesteuerte Gestik, Mimik und über die Laute hinaus, die später zu semantisch deutlichen Interjektionen werden würden, Wege zu finden, um Gefühle wie Angst, Wut, Enttäuschung, Freude, Lust oder Überraschung auszudrücken. Sobald sich aus diesen Urlauten eigentliche konventionelle Ur-Interjektionen und aus diesen Ur-Interjektionen eigentliche, eindeutige Begriffe oder Aussagen gebildet hatten wie ‹ich habe Angst›, ‹ich habe Durst›, ‹ich bin wütend› oder ‹Geh weg! Hau ab!›, ist anzunehmen, dass auch Beschimpfungen, Flüche und Verwünschungen in der eben entdeckten Verbalität eine Rolle zu spielen begannen. Jedenfalls ist nie eine noch so kleine, isolierte, naturbelassene, kulturell kaum kontaminierte Menschengruppe entdeckt und beschrieben worden, bei der man die Verwendung von Beschimpfungen und von Flüchen hätte ausschließen können. Das Fluchen, Beschimpfen und Verfluchen scheinen Universalien menschlichen Verhaltens zu sein.

Zwar erfanden vor über fünftausend Jahren die Sumerer die Keilschrift, die nach unseren Erkenntnissen älteste Schrift der Welt, und später übernahmen diese Schrift auch andere Völker, darunter die Babylonier, doch die Texte, die man mit dieser Schrift verfasste, dienten ausschließlich der Verwaltung, der Gesetzgebung, der Religion und der Wissenschaft. Eine private Verwendung der Schrift etwa zum Verfassen von Briefen oder irgendwelcher persönlichen Mitteilungen, in denen auch emotionale Ausbrüche festgehalten wären, sind in Mesopotamien des 4. und 3. vorchristlichen Jahrtausends weder je gefunden worden noch überhaupt wahrscheinlich. Somit wissen wir über Kraftausdrücke und Flüche der Frühantike nichts.

Auch vom alten Ägypten sind uns keine Fluchwörter im modernen Sinne bekannt. Allerdings tauchen in Hieroglyphen erste Formen von Verwünschungen auf. Eine gewisse nicht häufige, aber doch über Jahrhunderte fortgesetzte Praxis ist verbürgt und belegt, in der die sogenannten Fluchtafeln, Katadesis oder Defixionen angefertigt wurden. Katadesis, Griechisch ‹κατάδεσις› [katádesis] (Bindung, Bindezauber), oder Defixion, von Lateinisch ‹defigere› (festnageln, anheften, durchbohren); diese Fluch-Tafeln also waren an Götter und Dämonen gerichtete Texte, in denen diese mythologischen Wesen gebeten wurden, einen verhassten Menschen zu bestrafen und ihm Schaden zuzufügen. Dazu wurden oft mit grausamen grässlichen Wünschen beschriftete Lamellen zusätzlich am Rand der Fluchtafel eingerollt, gefaltet oder mit Nägeln durchbohrt.

Ein Beispiel für eine solche Fluchtafel aus dem römischen Ägypten ist eine, die gegen einen Mann namens Liberalis gerichtet war. Die Tafel fordert den Gott Attis auf, Liberalis mit einem üblen Tod zu bestrafen und ihn daran zu hindern, sich mit Geld oder anderen Mitteln vom Leiden zu befreien. Die Inschrift lautet:

«Guter Attis, unser heiliger Herr, wirf deinen Zorn über Liberalis. Ich bitte dich, mein Herr, bei Castor und Pollux und bei allem Heiligtum alles Böse über Liberalis zu werfen, auf dass er den quälenden Tod, während er stirbt, mit dem ganzen Leib sehe [das heißt: bewusst erlebe, voll und ganz mitbekomme] und nicht im Schlafe oder im Rausch eines teuren Trunks Zuflucht habe.»

Auch bei den Ägyptern sind also keine eigentlichen Fluch- und Schimpfwörter zu finden.

Mehr und Interessanteres ist von den alten Griechen belegt, denn im Gegensatz zur Bedeutung der Schrift in den andern Hochkulturen gab es in den griechischen Staaten schon früh eine relativ hohe Alphabetisierungsquote in der Bevölkerung, mithin auch einen recht regen Gebrauch in der privaten Kommunikation zwischen Menschen aus dem Volk, zwischen Händlern, Handwerkern, Seeleuten, Fischern und Inhabern von kleineren Dienstleistungsbetrieben. An verschiedenen Orten wurden Schriftdokumente gefunden, die vulgäre Ausdrücke und Flüche belegen, die in der gehobenen Literatur niemals auftauchen. 

Aus solchen Texten ist einigermaßen Verblüffendes zu erfahren: Beispielsweise war es schon im 4. Jahrhundert vor Christus genauso üblich und verletzend wie heute, jemandem den ‹καταπύγων› [katapýgon] zu zeigen! (Der Katapýgon bestand darin, jemandem die geschlossene Faust zu zeigen und dabei den Mittelfinger nach oben auszustrecken — wobei sich bei der Geste weder Bedeutung noch Grad der Beleidigung gegenüber heute unterschieden). Ein gängiges beleidigendes Schimpfwort war ‹κυνῶπα› [Kynopa] (Hundsäugiger, Hundsgesichtiger). Ein weiteres ‹ἀναιδείην ἐπιειμένε› [Anaideine epieimène] (auf Unverschämtheit Sitzender). Auch ganze Beschimpfungstiraden sind verbürgt, zum Beispiel: ‹οἰνοβαρές, κυνὸς ὄμματ‘ ἔχων, κραδίην δ‘ ἐλάφοιο› [Oinobares, kynòs ommat egon, kradine dʼeláphoio] (Du Säufer mit dem Blíck eines Hundes und dem Herzen eines Hírsches), oder ‹ὦ βδελυρὲ σύ› [o bdelyré sy] (du Furzender), ‹ἐς κόρακας› [es korakas] (eigentlich zu den Raben! — weil Raben die Gehängten auffressen).

Diese Auflistung ist zwar nicht ausführlich, aber im Bemühen erstellt, die Thematik einigermaßen repräsentativ abzubilden, aus der in der griechischen Antike die Beschimpfungen vornehmlich geschöpft wurden. Zielscheibe des Spotts waren vorwiegend Dumme, Betrunkene, Kriminelle, Ungebildete, Unkultivierte und Leute, die die Sprache nicht beherrschten (das Wort ‹Barbar› bedeutet ursprünglich: ‹der griechischen Sprache nicht mächtig›). Wie man aus der Auflistung auch erkennen kann, war das eigentliche Fluchen gegenüber dem Verfluchen, Verwünschen, Beschimpfen und Verspotten selten.

Dies war auch in römischer Zeit der Fall. Vom Rom der Könige über die Republik bis in die Kaiserzeit hinein entwickelten die Römer eine vergleichslose Kreativität im Schöpfen von Beschimpfungen, die vorwiegend auf einen unterstellten Mangel an Sauberkeit des Beschimpften anspielten und die kaum je wiederholt, sondern immerzu neu erfunden wurden: ‹Si in sentina haesit, magis putet.› (Wenn du in einer Jauchegrube steckst, stinkt diese noch mehr.), ‹Nihil interest, utrum dicas an pedere.› (Es ist kein Unterschied, ob du sprichst oder furzt.) ‹Etiam porcos abigit fetor tuus.› (Dein Gestank vertreibt sogar die Schweine.), ‹Ad anum loqueris.› (Du sprichst mit dem After.), ‹Verba tua sunt optima ad agri fertilitatem.› (Deine Worte sind höchstens gut, um den Acker zu düngen.) und dergleichen unzählige mehr.

Im christlich geprägten Mittelalter verlagerte sich dann der Schwerpunkt auf religiöse Tabus und es kamen die eigentlichen Fluchwörter oder überhaupt das Fluchen auf: Gotteslästerung, Flüche gegen Heilige, gegen die Kirche, gegen Würdenträger, gegen den Papst, den Klerus, den Teufel, gegen den Himmel und die Hölle galten als schwerwiegende Vergehen und lösten daher heftige emotionale Reaktionen aus. Wörter wie ‹Sakrament›, ‹Hostie›, ‹Heilige Jungfrau› oder ‹Gottverdammt› hatten große Wucht, weil sie als Sünde galten.

In der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert gewannen im Schimpfen und Fluchen zunehmend Sexualität und Moral an Bedeutung. Mit der Aufklärung und dem wachsenden Einfluss von bürgerlichen Moralvorstellungen verschoben sich auch die sprachlichen Tabus: Jetzt wurden Geschlechtsorgane, Sexualpraktiken, sexuelle Orientierung und alles, was für unanständig gehalten wurde zum Hauptinhalt von Schimpfwörtern. Begriffe, die mit Körperfunktionen, Prostituierten oder Unehelichkeit zu tun hatten, wurden besonders abwertend verwendet. Erst im 18. und 19. Jahrhundert begann sich in allen europäischen Sprachen eine klare Trennung zwischen ‹guter› (gebildeter) und ‹vulgärer› (volkstümlicher) Sprache zu vollziehen. Während die anatomischen Begriffe wie ‹Kopf›, ‹Rücken›, ‹Knie›, ‹Schulter› oder ‹Fuß› weiterhin unterschiedslos im vulgären und gehobenen Sprachregister verwendet wurden, gab es für den Bereich der Ausscheidungs- und Geschlechtsorgane sowie für deren Funktionen zunehmend eine klare Trennung: ‹Penis / Schwanz›, ‹Scheide / Fotze›, ‹Beischlaf / Ficken›, ‹Gesäß / Arsch›. So wurde allein schon die Verwendung eines Wortes aus der Vulgärsprache zum Fluch, oft im Verbindung mit Sakralem: ‹Himmel-Herrgott-Sack›.

Im 20. Jahrhundert wurde der Tabubruch zum Alltag. Mit dem gesellschaftlichen Wandel – insbesondere der 1960er und 1970er Jahre wurden zunehmend sprachliche Tabus gebrochen. Feminismus, sexuelle Revolution und Popkultur führten dazu, dass viele frühere Schimpfwörter an ‹Sprengkraft› verloren, während andere — besonders in Bezug auf Rassismus, Homophobie oder Diskriminierung — neue Brisanz gewannen.

In der aktuellen Gegenwart erleben Schimpfwörter eine ambivalente Rolle. Einerseits sind sie alltäglicher als je zuvor, andererseits werden sie kritisch hinterfragt. Begriffe, die früher ohne Bedenken verwendet wurden, gelten heute als diskriminierend oder verletzend — etwa bei Themen wie Geschlecht, Herkunft oder Behinderung.

Gleichzeitig haben sich neue «kreative» Schimpfformen etabliert — oft fragwürdig humorvoll oder ironisch wie ‹Vollpfosten›, ‹Korinthenkacker›, während klassische Flüche durch Emojis, Memes oder Jugendsprache neue Formen bekommen.

Zu beachten bleibt, dass in den verschiedenen Sprachen, auch aus derselben Sprachfamilie, Schimpf- und Fluchwörter sehr verschieden eingesetzt und empfunden werden. Darüber hinaus kann sich diese Empfindung in kurzer Zeit sehr stark ändern. Während es beispielsweise undenkbar ist, dass ein Italienischsprachiger mit einer Entsprechung zu ‹Gottverdammich› sich selbst verfluchen würde, wäre es für einen Deutschsprachigen nicht vorstellbar, dass er sich zu einer Analogie zu ‹porca madonna› (Muttergottes-Sau) versteigen würde. Merkt eine Deutschsprachige, dass sie ihren Hausschlüssel nicht mitgenommen hat, wird man durchaus Verständnis haben, wenn sie ihre unangenehme Situation mit ‹Scheiße› kommentiert, während eine anständige Italienerin in derselben Situation nicht gut beraten wäre, öffentlich ‹merda› auszurufen — zudem würde man im italienischen Sprachraum nicht verstehen, wieso ein vergessener Schlüssel mit Exkrementen in Verbindung gebracht wird. Für Italiener wäre es eher nachvollziehbar, wenn man irgendeinen Heiligen dafür verantwortlich macht, dass der Schlüssel nicht in der Handtasche, sondern noch auf der Kommode liegt.

Kommentare 4

  1. Erhellend, wie immer, lieber Alberigo, Du Lichtbringer ins Dunkel unseres Nichtwissens. Danke! ❤

    1. Post
      Author

      Danke, Angelika! Dein Lob ist wohl übertrieben, aber es tut sehr gut und ermutigt mich, meine Arbeit mit Hingabe und Engagement fortzusetzen. 🌹

    1. Post
      Author

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert