ATELIER-KONZERT 58
SONNTAG, 8.5.22 |18.00, St.-Johanns-Vorstadt 16, 4056 Basel
Eines der entzückendsten Gedichte des italienischen Romantikers Giacomo Leopardi – sein wohl berühmtestes – heißt «Il sabato del villaggio» (Samstag auf dem Dorfe). Trotz des Titels ist in den anmutigen Versen jedoch kaum von der Erschöpfung der Bauern am Ende der harten, strapaziösen Woche, sondern vornehmlich vom Sonntag die Rede, wenn Herr und Magd, Bäuerin und Knecht endlich ausruhen und sich festlich kleiden werden. Noch arbeitet man, wie an andern Wochentagen auch, aber die Vorfreude auf den Sonntag ist, was den Samstag zum besonderen, zum schönsten Wochentag macht — wie auch der norddeutsche Name dafür, Sonnabend, beschwört. In den letzten Versen wird schließlich der Samstag zur Metapher für die Jugend, die sich auf die Verwirklichung von Träumen und Vorhaben freut, auf Erfüllung in der ersehnten Liebe, auf die Kinder, auf die Familien. Die Ode an die Freude ist eine Ode an die Vorfreude.
Ob und in welchem Maße neben dem Menschen auch andere Lebewesen die Vorfreude kennen, wissen wir nicht, aber was wir mit Bestimmtheit wissen, ist, dass das, was uns Menschen von allen andern Wesen unterscheidet und uns eigentlich zum Menschen macht, unsere einzigartigen Weisen der Kommunikation sind: unsere Sprachen und die Künste, allen voran die Musik. Kommunizieren auch Wale und Pflanzen über unvorstellbar weite Strecken, werden sie es aber nicht in derselben Komplexität und niemals über Generationen hinweg tun. Uns berühren Schiller und Beethoven mit Freude und Leopardi mit Vorfreude, als hätten sie die Feder noch gar nicht abgelegt und als wäre die Tinte kaum trocken.
Gerade diese Mittel der Menschwerdung des Menschen benützen wir aber allzu oft, ohne dem Mittel selbst die gebührende Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen. Wir hören Musik und fragen uns zu wenig, ob wir denn alle dasselbe hören und ob das, was wir hören, auch das ist, was die Komponistin oder der Komponist meinte. Wir verwenden Wörter und Wendungen oft, ohne uns zu fragen, was sie in der Vergangenheit bedeutet haben, woher sie kommen, welche Geschichte sie mit sich tragen und wie viel von dem, was wir mit ihnen sagen wollen, sie noch bedeuten werden, wenn sie in Ohr und Herz jener gelangen, die wir mit ihnen ansprechen.
Sich nicht bloß den eigentlichen Botschaften zuzuwenden, sondern zugleich der Weise, wie diese vermittelt werden, wie ihre Bedeutung sich verändert, verzerrt, verliert, manchmal sogar zunimmt, ist etwas, was immense Freuden verheißt. Dafür braucht es weiter nichts, als sich darauf einzulassen, sich dafür zu öffnen, dann sind die Sprachen eine reich gedeckte Tafel, auf die die ‹Amuse-Bouche›, die musikalischen und die linguistischen, Appetit anregen wollen.