‹Neapel sehen und dann sterben› wird oft falsch betont und folglich falsch verstanden. Es heißt nicht ‹Neapel sehen und dann sterben›, sondern ‹Neapel sehen und dann sterben›, denn gemeint ist, dass man nicht sterben soll, bevor man Neapel gesehen hat — Neapel gesehen zu haben, ist also die Bedingung dafür, dass man nun sterben kann, ohne das Schönste im Leben versäumt zu haben, und nicht die Ursache für das Sterben.
Einer der schönsten Orte in Neapel ist Posillipo. Posillipo ist der südwestlichste Stadtteil Neapels, westlich des historischen Zentrums (Centro Storico), und ist mit 25’000 Einwohnern eigentlich eine kleine Stadt für sich; sozioökonomisch gesehen einer der wohlhabendsten und historisch einer der bedeutendsten Stadtteile.
Neben dem architektonischen Reiz und jenem seiner zauberhaften Lage ist auch sein Name sehr hübsch: ursprünglich griechisch ‹Παυσίλυπον› [Pausìlypon] bedeutet er ‹Aufhebung des Leidens›. Da gönnten sich bereits vor mehr als zweitausend Jahren Neapolitanerinnen und Neapolitaner — und das Besondere ist: nicht bloß die Reichen! — Erholung, Zerstreuung und pure Lebensfreude. In der Antike und dann während der Blütezeit Neapels, während des strahlenden neapolitanischen Barocks, entstanden da zauberhafte Villen, Gärten, Parkanlagen und Promenaden, die noch heute zu den schönsten Orten Italiens gehören.
Neapel hieß ursprünglich Parthenope, Griechisch ‹Παρθενόπη› [Parthenópē], in der griechischen Mythologie eine der Sirenen.
Homers ‹Odyssee› erzählt, dass Odysseus auf seiner Irrfahrt von Troja in seine Heimat Ithaka an der Insel der Sirenen vorbeikommt. Er weiß, dass eigentlich niemand dem gleichermaßen betörenden wie todbringenden Gesang der Sirene Parthenope entrinnen kann. Dass er jedoch mit seinem Schiff an der Insel vorbeikommt und keinen Schaden nimmt, erreicht er, indem er seinen Matrosen die Ohren mit Wachs verstopft und sich selbst an den Schiffsmast fesseln lässt. (Bereits die Argonauten segeln heil an der Insel der Sirenen vorbei, weil Orpheus den Gesang der Sirenen mit seinem eigenen und mit dem Klang seiner Leier übertönt.) Der Sage nach sollen dann die Sirenen sich ins Meer gestürzt und Selbstmord verübt haben, weil sie Odysseus und Orpheus nicht verführen und zu sich hatten locken können. Nach ihrem Sprung ins Meer wurde Parthenope da, wo heute Neapel liegt, angeschwemmt und bestattet. An ihrem Grabmal wurde ihr Kult mit jährlichen Spenden und Stieropfern begangen. Außerdem führte ihr zu Ehren der Nauarch (‹ναύαρχος› [nauarchos], Oberkommandierender der spartanischen Seestreitkräfte) Diotimos um 433 v. Chr. (auf einen Orakelspruch hin) einen Fackellauf ein. An Parthenopes Bestattungsort wurde die Stadt gegründet und vorerst ebenso genannt. Auch der römische Dichter Vergil verwendet Parthenope als Bezeichnung für Neapel und noch Napoleon gründete 1799 in Anlehnung an ihren Namen in Süditalien die Parthenopäische Republik.
Als sich die antike Hafenstadt Parthenope in der von steilen Klippen gesäumten Bucht nicht weiter ausdehnen konnte, wurde östlich davon eine neue und größere Hafenanlage gebaut und eine neue Stadt, die heutige Stadt Neapel, entstand, die sehr bald mit Parthenope verschmolz und diese einverleibte. ‹Νεάπολις› [Neàpolis] bedeutet ‹neue Stadt›, zusammengesetzt aus ‹νέα› (neu) und ‹πόλις› ‹(Stadt).
Kommentare 4
Molto interessante, grazie!
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Sempre a tuo servizio, adorata!
Danke, lieber Alberigo, für das Öffnen meines inneren Auges.
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Ich danke dir für dein Interesse und deine Wertschätzung!