Oxymoron

Schwachsinnig klug

Alberigo Tuccillo Geschichte, Literatur, Sprache Schreibe einen Kommentar

Ein Oxymoron ist ein Ausdruck, der aus einem Wort oder aus mehreren besteht und der in sich selbst widersprüchlich ist. Oxymoron ist Griechisch und setzt sich zusammen aus ‹ὀξύς› [oxýs] (scharf, scharfsinnig) und ‹μωρός› [morós] (stumpf, stumpfsinnig). Lateinisch spricht man von ‹contradictio in adiecto› (Widerspruch durch die Beifügung) oder von ‹contradictio in eo ipso› (Widerspruch in sich selbst). Das Wort Oxymoron ist also selbst ein Oxymoron, denn ein Messer kann genauso wenig scharf und stumpf zugleich sein, wie ein Gedanke niemals sowohl scharfsinnig als auch stumpfsinnig ist. Gängige Oxymora sind: beredtes Schweigen, Flüssiggas, Negativwachstum, virtuelle Realität, Frauenmannschaft, Ausnahmeregel und einige mehr. Das Sprachgefühl bewahrt uns beim Reden und beim Schreiben meistens zuverlässig vor dieser Art von Denkfehlern, sodass es nicht leicht ist, viele weitere Beispiele aus der Umgangssprache zu finden. Hin und wieder empört sich jemand über eine ‹reinste Sauerei› und eine Schülerin schrieb einmal in einem Aufsatz: «Als der Kommissar zum Tatort kam, lebte die Leiche noch.», doch die weitaus meisten Oxymora finden wir in der Literatur als rhetorisches Stilmittel, das eine wohlüberlegte, gezielte und beabsichtigte Irritation hervorruft, um die Ambiguität, Doppeldeutigkeit oder Widersprüchlichkeit einer Situation zu verdeutlichen; etwa bei Friedrich Hölderlin ‹traurigfroh›, bei Mascha Kaléko ‹keusche Wollust› (bereits in Carmina Burana: ‹lascivus amor et pudicitia›), bei Bruce Beresford ‹stummer Schrei›, bei Umberto Eco ‹füllt sich mit Leere›, bei Erich Kästner ‹sachliche Romanze› und unzählige weitere.

Worauf ich aber nach dieser langen Einleitung eigentlich hinaus will, ist der ‹trockene Humor›! Alle wissen, was damit gemeint ist, viele verwenden den Ausdruck mehr oder weniger regelmäßig, wenigen fällt dabei jedoch auf, dass es sich um ein eindeutiges Oxymoron handelt! Ja, ich bin sogar ziemlich sicher, dass auch jetzt, wenn ich dies sage und behaupte, einige sich noch immer perplex fragen werden: «Warum denn?» — Nun, um darauf zu antworten, muss man bloß darauf hinweisen, dass wir das Wort ‹Humor› fast ausschließlich in einem übertragenen Sinn verwenden und dass es konkret ‹Feuchtigkeit› bedeutet. ‹Humus› ist davon abgeleitet und bezeichnet die feuchte Erde, aus der die Pflanzen mit ihren Wurzeln das Wasser aufnehmen, um es in Stamm, Blätter, Blüten und Früchte zu pumpen. Zigarrenraucher haben einen ‹Humidor›, der die gerollten Tabakblätter feucht hält, und auf dieselbe Wurzel gehen zurück: ‹human›, ‹humanistisch›, ‹Homo› (Mensch), doch darüber ein andermal, um unseren Humor nicht aus den Augen zu verlieren.

‹Humor› bedeutet ‹Feuchtigkeit›. — Die Frage ist an dieser Stelle mehr als berechtigt: «Wie kommt man bloß darauf, mit Feuchtigkeit eine Disposition des Gemüts zu bezeichnen?» — Und um diese Frage zu beantworten, muss der Linguistik die Historie beistehen: Um 420 v. Chr. stellte der griechische Arzt Hippokrates von Kos (darf nicht mit dem Mathematiker und Astronomen Hippokrates von Chios verwechselt werden) die Vier-Säfte-Lehre auf, die noch bis ins 19. Jahrhundert hinein von einigen Medizinern und Psychologen ernstgenommen wurde. Diese Lehre machte vier Flüssigkeiten des menschlichen Körpers für Veränderungen des physischen und des psychischen Befindens verantwortlich. Die vier ‹Säfte› mussten stets in Harmonie, im Gleichgewicht sein. Diese Körpersäfte waren: ‹Sanguis› (Blut), ‹Phlegma› (Schleim), ‹Cholera› (gelbe Galle) und ‹Melancholia› (schwarze Galle). Nahm das Blut überhand, wurde der Mensch heißblütig, hatte er zu viel Schleim, wurde er phlegmatisch, mit zu viel gelber Galle war er cholerisch und die schwarze Galle machte ihn melancholisch. Damit sind auch diese heute noch gängigen Begriffe erklärt.

Die Frage ‹Wie geht es dir heute?› war also seit der Antike, während des Mittelalters bis zur Aufklärung gleichbedeutend mit ‹Wie steht es heute mit deiner Feuchtigkeit?›. Darum ist Italienisch ‹umore› nicht ‹Humor›, sondern ‹Gemütszustand›.

Um den Bogen zu schließen: ‹trockener Humor› wäre folglich ‹trockene Feuchtigkeit›, und das kriegt wohl niemand wirklich hin. — Except for the British, of course!

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