Wenn sich jemand von einer stark beeinträchtigenden Sucht befreit, sagt man, er oder sie werde bald oder sei bereits ‹sauber›. Zum Beispiel: «Dank ihrer Psychotherapie ist Maria nun schon seit drei Jahren sauber.» Allen ist auf Anhieb klar, dass der leidenden Maria die erfolgreiche Therapeutin nicht das Duschen beigebracht hat und dass die Patientin vor der therapeutischen Arbeit nicht schmutzig, sondern krank war. Vergessen wir dabei nicht, dass das Wort ‹Sucht› sich nicht, wie leider oft angenommen und behauptet wird, von ‹suchen› ableitet, sondern schlicht und einfach ‹Krankheit› bedeutet. Etymologisch verwandt mit ‹Sucht› sind Wörter wie ‹Seuche› und ‹siechen›. Letztlich geht diese Wortgruppe auf das Verb ‹saugen› zurück — Althochdeutsch ‹sūgan›, Altenglisch ‹sūcan›, Mittelhochdeutsch ‹sūgen›. Die Vorstellung, die zur Bildung dieser Wortgruppe geführt hat, ist, dass jede Krankheit etwas Mysteriöses, Unsichtbares ist, was Kranken die Kräfte, die Lebensenergie, den Willen, schließlich das Leben aussaugt. Dieselbe Relation erkennt man im Englischen zwischen ‹to suck› und ‹sick›. (Siehe auch ‹Linguistische Amuse-Bouche›, Artikel 5 ‹Vergebliche Suche›, Seite 28).
Doch zurück zur Sauberkeit: Trunksucht, Drogenabhängigkeit, Kettenrauchen und generell das nicht kontrollierbare Konsumieren äußerst gesundheitsschädigender Substanzen werden als verwerflich angesehen, weil die Krankheit — anders als beispielsweise bei den meisten Infektionskrankheiten oder genetisch veranlagten Dysfunktionen — durch die Lebensführung, Mäßigung, Disziplin der Erkrankten hätte vermieden oder zumindest weniger gravierend gemacht werden können. Was jedoch für verwerflich gehalten wird, wird mit Schmutz, Dreck, Unsauberkeit assoziiert. So reden wir von ‹schmutzigen Geschäften›, wenn diese gegen die gängige Moral oder gegen das Gesetz verstoßen, und ein ‹Dreckskerl› kann uns durchaus gepflegt und parfümiert, sogar desinfiziert und keimfrei über den Tisch ziehen.
So könnte man also denken, dass ‹sauber› im Falle von Marias Genesung eine metaphorische Verwendung des Wortes ist. Maria ist jetzt ‹sauber›, weil sie inzwischen ‹die Finger von dem Dreckzeug lässt›.
Nun ist es aber genau umgekehrt: ‹sauber› bedeutet im ursprünglichen Sinn nicht ‹gewaschen, gereinigt, geputzt›, sondern ‹nicht betrunken›! Die metaphorische Verwendung des Wortes ist also nicht diejenige, die auf Enthaltsamkeit hindeutet, sondern diejenige, die wir üblicherweise als die unmittelbarste und konkreteste vermeinen.
Lateinisch ‹sobrius› (nüchtern) ist abgeleitet von ‹ebrius› (berauscht, betrunken) und mit der Vorsilbe ‹se-› versehen, die eine Trennung, Absonderung oder Entfernung andeutet, wie man sie in Wörtern findet wie ‹separieren›, ‹sezieren›, aber auch in deutschen Wörtern wie ‹sehen› oder ‹sehnen›. Das Wort ‹se-ebrius›, später dann zu ‹sobrius› kontrahiert, hatte also ursprünglich die Bedeutung von ‹bei Sinnen›, ‹bei Verstand›, ‹nicht berauscht›, ‹nicht besoffen›, mithin ‹ernst zu nehmen›, ‹verlässlich›. Die ursprüngliche und bis ins Frühneuhochdeutsche einzige Bedeutung zeigt sich heute noch im englischen Wort ‹sober›. Mit ‹nicht verunreinigt› oder ‹von Verunreinigungen befreit› wird im Deutschen das Wort ‹sauber› erst seit dem 16. Jahrhundert in Verbindung gebracht.
Die romanischen Sprachen sind dem Ursprung noch eng verbunden geblieben: Französisch ‹sobre›, Spanisch und Italienisch ‹sobrio›, Portugiesisch ‹sóbrio›, Rumänisch ‹sobru› haben auch heute noch nichts mit Dreck zu tun.

Kommentare 1
Als Kind liebte ich die süssen „Sugus“ über alles. Allerdings konnte ich mir unter der Bezeichnung „Sugus“ nichts vernünftiges vorstellen. Ich nahm an, das sei vielleicht ein Bruder von Globi (Globus), so lustige kleine Männchen waren ja auch auf der Packung abgebildet. Spätestens jetzt weiss ich es besser… 😉
Danke, Alberigo!