Vier Sonette von Antonio Vivaldi

Alberigo Tuccillo Literatur, Musik 4 Kommentare

Die vier Jahreszeiten

Die vier Jahreszeiten op. 8 (Le quattro stagioni), eine Sammlung von vier Violinkonzerten aus dem Jahr 1725, ist eines der bekanntesten Werke von Antonio Vivaldi. Es sind programm-musikalische Kompositionen: Jedes Konzert illustriert eine Jahreszeit. Dazu ist in der Solostimme den einzelnen Konzerten ein von Vivaldi selbst (möglicherweise erst nachträglich) geschriebenes Sonett vorangestellt; die Verse werden als Beschreibungen und gewissermaßen als poetische Spielanweisung in allen Einzelstimmen an den entsprechenden Stellen zitiert.

Vivaldi hatte bereits zuvor mit außermusikalischen Programmen experimentiert, die sich häufig auch in seinen Titeln niederschlagen*; die genaue Ausdeutung einzelner Details ist aber für ihn dennoch ungewöhnlich. Seine Virtuosität als Geiger erlaubte ihm den Einsatz besonders wirkungsvoller Spieltechniken und als Opernkomponist hatte er einen starken Sinn für Effekte. Beides kam ihm hier zugute.

* Die Titel von Vivaldis Werken stammen allerdings zum Teil aus der Feder der Verleger oder noch später aus anonymer Hand.

Zum Frühlingsbeginn am 21. März, zur Sommersonnenwende am 21. Juni und zum Herbstbeginn am 21. September habe ich jeweils ein Sonett von Antonio Vivaldi zu einer Jahreszeit, mit deutscher Übersetzung in fünfhebigen Jamben gepostet (noch immer ohne Reimschema; vielleicht schaffe ich das Reimschema noch im nächsten Jahr).

Jetzt zur Wintersonnenwende habe ich alle vier Sonette zusammen (mit Übersetzung) hochgeladen, damit man auch diejenigen nachlesen kann, die man verpasst hat. (Oder aus purer Freude kann man sie natürlich auch noch einmal lesen, wenn man sie nicht verpasst hat.)

(Die Übersetzungen sind sozusagen in Arbeit und werden laufend verbessert.)

LA PRIMAVERA
DER FRÜHLING
Giuntʼè la Primavera e festosetti
La Salutan glʼAugei con lieto canto,
E i fonti allo Spirar deʼ Zeffiretti
Con dolce mormorio Scorrono intanto:
Erwacht ist nun der Frühling und entzückt
empfangen ihn die Vögel mit Gesang,
derweil die Bächlein in des Windes Flüstern
mit leisem Murmeln durch den Abend rinnen:
Vengonʼ coprendo lʼaer di nero amanto
E Lampi, e tuoni ad annuntiarla eletti
Indi tacendo questi, gl’Augelletti
Tornan di nuovo al lor canoro incanto:
Und nahet dann die Luft in Schwarz gekleidet,
sind Blitz und Donner nur von kurzer Dauer,
bis bald der Sturm verstummt und als zuvor
noch zauberhafter klingt der Vöglein Zwitschern:
E quindi sul fiorito ameno prato
Al caro mormorio di fronde e piante
Dorme ʼl Caprar col fido canʼ a lato.
Der Hirte döst in blütenbunter Wiese,
im lieblich Rauschen jungen Schilfs und Zweige, 
den treuen Hirtenhund dankbar umarmend.
Di pastoral Zampogna al suon festante
Danzan Ninfe e Pastor nel tetto amato
Di primavera allʼapparir brillante.
In seinem Traume tanzen Nymphe und Landsleutʼ
zum fröhlichen Erschallen der Schalmei, 
den neuen Frühling freundlich zu begrüßen.

L’ESTATE
DER SOMMER
Sotto dura Staggion dal Sole accesa
Langue lʼuom, langue ʼl gregge, ed arde il Pino
Scioglie il Cucco la Voce, e tosto intesa
Canta la Tortorella e ‚l gardelino.
Der Sonne Glut die Jahreszeit erhitzt
und Mensch und Vieh als auch die Pinie schmachten,
derweil des Kuckucks Stimme laut erklingt
im Widerhall mit Taube und mit Fink.
Zèfiro dolce Spira, ma contesa
Muove Bòrea improviso al Suo vicino
E piange la Pastorelʼ, perché sospesa
Teme fiera borasca, e ʼl suo destino
Doch weicht der milde Zephyr unverhofft
dem wütend Sturm verheißenden Boreas.
Die Hirtenmagd schreckt auf bei Blitz und Donner
und rettet sich und Ding vor dem Gewitter.
Toglie alle membra lasse il Suo riposo
Il timore deʼ Lampi, e tuoni fieri
E de mosche e moscon lo Stuol furioso.
Mit matten Gliedern nach dem Mittagsschläfchen
bringt sie zu Schützendes in ihre Hut,
wehrt wild gewordne Bremsenschwärme ab.
Ah, che purtroppo i suoi timor Son veri!
Tuona e fulmina il Ciel e grandioso:
Tronca il capo alle Spiche ed aʼ grani alteri.
Ach, wie berechtigt war doch die Befürchtung:
des Himmels Leuchten und grandioses Grollen
enthauptet Ähren und bricht Weizenhalme.

L’AUTUNNO
DER HERBST
Celebra il Vilanel con balli e Canti
Del felice raccolto il bel piacere
E del liquor di Bacco accesi tanti
Finiscono col Sonno il lor godere.
Der Bauernbub zum Feste tanzt und singt
ob seiner reichen Ernte hoch erfreut,
derweil manch andrer seine Lust allein
nach Bacchus’ Trank in tiefem Schlafe findet.
Fa‘ ch‘ ogn‘ uno tralasci e balli e canti
L’aria che temperata dà piacere,
E la Staggion ch‘ invita tanti e tanti
D‘ un dolcissimo sonno al bel godere.
So solln auch Tanzende und heitre Sänger
sich an der temperierten Luft erfreuen
und von der Jahreszeit verführen lassen,
die Lust bis in den süßen Schlaf genießen.
Cacciator alla nov’alba à caccia
Con corni, Schioppi, e cani escono fuore
Fugge la belva, e Seguono la traccia;
Schon in der Dämmerung zieht es den Jäger
mit Horn, mit Hunden und mit seiner Flinte
das Wild zu suchen, seiner Spur zu folgen.
Già Sbigottita, e lassa al gran rumore
De‘ Schioppi e cani, ferita minaccia
Languida di fuggire, mà oppressa muore.
Der Lärm der Hunde und der Flinten treibt
das Wild verwirrt in seine letzte Flucht,
bis es am Schrot und an Erschöpfung stirbt.

L’INVERNO
DER WINTER
Agghiacciato tremar trà nevi algenti 
Al Severo Spirar d‘ orrido Vento, 
Correr battendo i piedi ogni momento 
E pel Soverchio gel batter i denti 
Vor Kälte im Gestöber klamm und weh,
in strengen Böen und schneidenden Winden,
die Füße hart auf eisgen Boden schlagend,
im gnadenlosen Frost klappern die Zähne.
Passar al foco i di quieti e contenti 
Mentre la pioggia fuor bagna ben cento 
Caminar Sopra il ghiaccio, e à passo lento 
Per timor di cader gersene intenti 
Man sehnt sich nach dem Herd und seiner Wärme,
derweil sich Eis und Regen auf den Wegen
zu tückisch rutschiger Gefahr vermengen
und Hunderte beim Gehn in Angst und Furcht
Gir forte Sdruzziolar, cader à terra
Di nuove ir Sopra ‚l ghiaccio e correr forte 
Sin ch‘ il ghiaccio si rompe, e si disserra
versetzt vor Beinbruch und vor schweren Stürzen.
Und manche schlagen fest mit ihren Schuhen,
in kläglichem Versuch, das Eis zu brechen.
Sentir uscir dalle ferrate porte 
Sirocco Borea, e tutti i Venti in guerra 
Quest‘ è ‚l verno, mà tal, che gioia apporte.
Selbst schwere Tore mit Metallbeschlägen
verhindern nicht den Bruderkrieg der Winde!
Dies ist der Winter — doch bringt er auch Freude.

Kommentare 4

  1. Wie wunderschön die Idee, die Übersetzung und die graphische Darstellung.
    Danke für dieses Geschenk, lieber Alberigo!

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