Das deutsche Interrogativ-Adverb ‹wo› hieß Althochdeutsch noch ‹uuar› oder ‹hwār› [chuuaar]. Ein Beispiel dafür finden wir im Evangelienbuch des Otfried von Weißenburg aus den 9. Jahrhundert. Unter der lateinischen Überschrift ‹De stella et adventu magorum› (Vom Stern und von der Ankunft der Weisen; gemeint sind die drei Könige, die erst später Könige und auf rätselhafte Weise drei an der Zahl werden sollten) — was uns nun auch einen Vorwand dafür liefert, dass wir uns eben am 6. Januar mit der Herkunft des Fragewörtchens ‹wo› beschäftigen. Der Text lautet:
‹Tho quamun óstana in thaz lánt .
thie irkantun súnnun fart stérenno girústi .
thaz uuarun iro lísti .›
(Da kamen von Osten ins Land, die erkannten der Sonne Lauf, die Position der Sterne. Das waren ihre Kenntnisse.) Der Wortstamm ‹list-› hatte damals noch nicht den heutigen negativen Beigeschmack, so bedeutete etwa ‹listig› bloß ‹geistreich, klug, weise›.
Weiter im Text:
‹Sie éiscotun thes kíndes .
sar io thés sinthes joh kúndtun ouh
tho mári thaz er ther kúnning uuare .›
(Sie heischten des Kindes — gemeint ist: sie versuchten etwas über das Kind zu erfahren — und verkündeten, dass es der König sei.)
Weiter im Text:
‹Uuarun frágenti . UUAR er gibóran uuurti
joh bátun io zi noti . man in iz zéigoti .›
(Sie waren Fragende — das heißt: sie fragten sich — WO er geboren würde, und baten sehr darum, dass man es ihnen zeigte.)
‹uuar›, ungefähre Aussprache [war], Bedeutung (wo) verlor im 11. Jahrhundert das Endungs-R und lautete folglich ab dem Frühmittelhochdeutschen ‹wa›. Der Wandel von A zu O, also von ‹wa› zu ‹wo› vollzog sich noch in mittelhochdeutscher Zeit, nämlich Ende des 13. Jahrhunderts. Wobei sich die beiden Reduktionen in verschiedenen Sprachgebieten zu geringfügig verschiedenen Zeiten ereigneten.
Selbstverständlich klingeln sprachgeschichtlich Interessierten beim althochdeutschen ‹huuar›, das ‹wo› bedeutet, die etymologischen Glöcklein, die an das englische ‹where› (wo) denken lassen. Und da ist man gleich mit einem Volltreffer belohnt, denn Altenglisch lautet das Wörtchen… — na wie denn? — Ja, richtig! Fast genau gleich, nämlich: ‹huuare›!
‹Linguistische Amuse-Bouche›, ISBN-13: 9783754382622, 35 €

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