Zoll und Zölle

Alberigo TuccilloSprache 3 Kommentare

Wenn ein Wahnsinniger um keinen Zoll vom Zollwahn weicht, wirft er die Frage auf, ob Zoll und Zölle einen Zusammenhang haben. Ein paar linguistische Betrachtungen über Maß und Ausmaß:

Homonyme — Griechisch ‹ὁμώνυμος› [homónymos], aus ‹ὁμός› [homós] (gleich) und ‹ὄνυμα› [ónyma] (Name) — sind Ausdrücke, die äußerlich gleich aussehen (homograph) oder gleich ausgesprochen werden (homophon), aber für verschiedene Begriffe stehen. Beispiele dafür sind:

  • der ‹Ball› (kugelförmiges Spielgerät), der ‹Ball› (Tanzveranstaltung)
  • das ‹Gericht› (zubereitete Speise), das ‹Gericht› (Tribunal)
  • die ‹Taube› (Vogel), die ‹Taube› (Frau mit Gehörbehinderung)
  • der ‹Gang› (Gangart), der ‹Gang› (Korridor), der ‹Gang› (Teil eines Menüs), der ‹Gang› (eine Schaltstufe mit einem bestimmten Übersetzungsverhältnis in einem Getriebe), der ‹Gang› (verbindender anatomischer Duktus, zum Beispiel ‹Gehörgang›)
  • die ‹Weide› (eine Baumart), die ‹Weide› (Grasfläche, wo Nutztiere äsen)
  • die ‹Erde› (unser Planet), die ‹Erde› (Humus)
  • der ‹Strom› (Fluss mit Meeresmündung), der ‹Strom› (Fluss elektrischer Ladung)

Oft gehen Homonyme etymologisch auf dieselbe Wurzel zurück. So sind beispielsweise sowohl der Fluss als Gewässer als auch der in Ampere gemessene Fluss elektrischer Ladungen Substantivierungen des Verbs ‹fließen›. Oft aber erscheinen und klingen grafisch und phonetisch identische Wörter mit verschiedener Bedeutung bloß gleich, sind jedoch aus völlig verschiedenen Stämmen entstanden.

Zweites ist der Fall bei den Wörtern ‹Zoll› (Längeneinheit, 2,54 cm) und ‹Zoll› (Steuerabgabe für Ware, die über die Landesgrenze eingeführt wird; und Behörde zur Erhebung solcher Steuern).

Das Längenmaß ‹Zoll› ist verwandt mit dem Wort ‹Zahl› und geht auf die indoeuropäische Wurzel ‹*del(ə)-› (spalten, kerben, schnitzen, behauen) zurück. Es bedeutet demnach ursprünglich ‹abgeschnittenes Stück Holz›. Mittelhochdeutsch ‹zol› war noch kein definiertes Maß, sondern ein Holzstück, das man bei einer bestimmten Arbeit als Referenz zuschnitt; zum Beispiel ein Stab der Sitzhöhe eines Stuhls entsprechend, und das man dann zur Herstellung gleich langer Stuhlbeine benützen konnte. Erst seit dem 16. Jahrhundert wird das Wort als Bezeichnung für ein festgelegtes Längenmaß gebraucht — allerdings war ein Zoll nicht überall gleich lang, variierte von 2 bis 3 cm, entsprach einer ‹Daumenbreite›, war ein Zehntel oder ein Zwölftel eines Fußes, ein Siebtel oder ein Fünftel einer Spanne, ein Zwanzigstel oder Vierundzwanzigstel einer Elle, wobei auch Fuß, Elle und Spanne von Ort zu Ort verschieden lang waren.

Von Althochdeutsch ‹tala› oder ‹zala›, Mittelhochdeutsch ‹zol› leitet sich auch das Verb ‹zählen› und ‹aufzählen› ab. Und vom Aufzählen von Informationen, Ereignissen, Beobachtungen ist das ‹Erzählen› entstanden, was interessanterweise und vermutlich völlig unabhängig auch in anderen Sprachen geschehen ist. Dem Deutschen ‹Zählen und Erzählen› entspricht Französisch ‹Compter et raconter›, Italienisch ‹contare e raccontare›, Spanisch ist ‹contar› sowohl ‹zählen› als auch ‹erzählen› und auch Englisch ‹to tell› und ‹tale› gehen auf das ‹Zählen› zurück, denn der ‹money teller› erzählt nicht in erster Linie Geschichten, sondern zählt das Geld in der Kasse.

Das Wort ‹Zoll› im Sinne von ‹Zollabgabe› leitet sich hingegen von Griechisch ‹τελωνεῖον› [telōneion] (Zollhaus) ab, zu ‹τέλος› [telos] (Ziel, Ende, Zweck). Daraus entstanden das lateinische ‹telonum› und das mittellateinische ‹tolonum› (Abgabe); daraus Althochdeutsch ‹tol› (belegt 8. Jahrhundert), ‹zol› (belegt 10. Jahrhundert), Mittelhochdeutsch ‹zol›, auch für ‹Zollhaus›, ‹Wegzoll›, ‹Brückenzoll› oder ‹Mautabgabe›.

Der Beruf des Zöllners, auch Mautner genannt, zählt zu den ältesten bekannten Berufen und ist schon aus der Bibel bekannt. Überall da, wo es ein geordnetes Gemeinwesen gibt, treten bereits in der Antike auch Zöllner in Erscheinung. Meist waren Zöllner bei den Bürgern unbeliebt, da sie auf Anordnung der jeweiligen Staatsmacht oder eines Feudalherrn die Steuern oder andere Pflichtabgaben eintrieben.

Johannes der Täufer gab laut Evangelium (Lk 3,12.13) den Zöllnern den Rat: «Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist». Die Verpflichtung, der römischen Obrigkeit Steuern zu zahlen, war für die Juden ein immerwährendes Ärgernis. Solche, die mit dem Eintreiben der Steuern betraut waren, wurden jeder Anerkennung für unwürdig erachtet. Daher werden im Neuen Testament die ‹Zöllner und Sünder› oft als eine Einheit erwähnt.

Kommentare 3

  1. Ein sehr schöner Artikel! Äußerst interessant und spannend geschrieben! Vielen Dank dafür.

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      Ich danke dir für das freundliche Feedback. Es freut mich sehr, dass dich der Artikel interessiert und dass er dir gefällt.

  2. Bert Brecht: Darum sei auch der Zöllner bedankt…
    (…)
    Aber rühmen wir nicht nur den Weisen,
    Dessen Name auf dem Büchlein prangt!
    Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
    Darum sei der Zöllner auch bedankt:
    Er hat sie ihm abverlangt.

    Also: Der Weise ist zu rühmen – Danke, Alberigo!

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