Zwischen Dauern und Bedauern

Alberigo TuccilloSprache 2 Kommentare

Wie schon mehrfach aufgezeigt, betont und geklärt können Homonyme — gleich aussehende und gleich klingende Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung wie ‹Gericht› (zubereitete Speise) und ‹Gericht› (Tribunal), wie ‹Gang› (Korridor) und ‹Gang› (bestimmte Übersetzung zwischen Motor- und Radgeschwindigkeit) oder wie ‹vergleichen› (aufzeigen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten bei betrachteten Objekten) und ‹vergleichen› (gleichsetzen) — zu Irritationen und Missverständnissen in der Kommunikation führen.

Nicht selten verleiten Homonyme auch dazu, etymologische Zusammenhänge zu vermuten oder schlimmstenfalls sogar zu behaupten, wo es diese nicht gibt. Dies sieht man besonders deutlich an den beiden Verben ‹dauern› und an deren Ableitungen, die leider nicht selten selbst von Wörterbüchern in einem metaphorischen etymologischen Mörser zu einer Art Einheitsbrei zerrieben werden, den die Linguistik dann mühsam wieder trennen und in die Bestandteile zerlegen muss: ‹dauern› (währen, bestehen, nicht zerfallen oder vergehen) ist mit ‹dauern› (leidtun) weder bedeutungsmäßig noch herkunftsmäßig verwandt!

In der ersten Bedeutung ist ‹dauern› — im Mittelhochdeutschen des 12. Jahrhunderts ‹dūren› (Bestand haben, Widerstand leisten) — eine Lehnübersetzung des lateinischen Verbs ‹durare›, was seinerseits vom Adjektiv ‹durus› (hart) abgeleitet ist: Was hart ist, nutzt sich nicht ab, zerfällt nicht, ist beständig und eben dauerhaft. «Marmorstein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht.» Von ‹dauern› in dieser Bedeutung sind abgeleitet: das Substantiv ‹die Dauer›, das Adjektiv ‹dauerhaft›, das Adverb ‹dauernd›, aber auch das Tongeschlecht ‹Dur› (Grundton, große Terz, kleine Terz) im Gegensatz zu ‹Moll› (mollus = weich; Grundton, kleine Terz, große Terz).

In der zweiten Bedeutung ist ‹dauern› jedoch keine Lehnübersetzung aus dem Lateinischen, sondern entspringt einer autochthonen germanischen Wurzel. Das mehrfach ab Frühmittelhochdeutsch bezeugte, von Anfang an unpersönlich gebrauchte Verb ‹tūren› gehört zum Wortstamm ‹teuer›. Das Verb ‹tūren› bedeutete ursprünglich ‹zu teuer dünken›, ‹zu viel bezahlt haben› — auch im metaphorischen Sinn:

‹der kriger sôlt mit dem leben tūren› (der Soldat würde es mit dem Leben bezahlen). Mit ‹dauern› in dieser Bedeutung ist also von Anfang an vor allem ‹bedauern› gemeint, das Gefühl, für etwas einen zu hohen Preis bezahlen zu müssen oder bereits bezahlt zu haben, was einem selbstverständlich leidtut. So nahm bereits im 12., spätestens im 13. Jahrhundert ‹tūren› die Bedeutung von ‹leidtun› an. Im süddeutschen Raum ist diese Verwendung noch immer häufig; zum Beispiel Baseldytsch ‹dr Glai duurt mi› (der Kleine tut mir leid).

Wie kam es von ‹tūren› mit ‹t› zu ‹duren› beziehungsweise ‹dauern› mit ‹d›? — Auch das ist nicht bloß im süddeutschen Raum, wo die Wortgruppe entstanden ist und Fuß gefasst hat, sehr häufig. In Basel ist beispielsweise die ‹Dante Schuggi› (Basler Fasnachtsfigur und historischer Motorwagen der Basler Straßenbahn) die ‹Tante Julia oder Tante Julie› und die ‹drey scheenschte Dääg› sind die ‹drei schönsten Tage› (gemeint sind die drei Fasnachtstage). Die ‹Trommel› heißt ‹Drummele›, das ‹Spalentor› heißt ‹Spaledoor› und die ‹Trauer› nennt sich ‹Druur›. Und im Norden: Deutsch ‹trinken› und ‹Trank› entsprechen Englisch ‹to drink› und ‹drink›; und ‹what shall we do with a drunken sailor?› entspricht ‹was sollen wir tun mit einem betrunkenen Matrosen?›; aus ‹Tisch› wird ‹desk›, aus ‹Teig› wird ‹dough› (und in Basel ‹Daig›, doch darüber schreibe ich demnächst einen gesonderten Artikel), aus ‹treiben› wird ‹to drive› und aus ‹Taler› wird ‹Dollar›.

Die Eigenschaft ‹teuer› wird und wurde vielerorts auch mit etwas assoziiert, was einem lieb ist. Man pflegte eine liebe Freundin in einem Brief mit ‹Teuerste› anzureden. Auch Französisch und Italienisch bedeuten ‹cher› und ‹caro› sowohl teuer als auch lieb.

An dieser Stelle ein kleiner Einwurf für Italienischlernende: Italienisch bestimmt die Stellung des Adjektivs darüber, ob es wörtlich oder im übertragenen Sinn zu verstehen ist. Wörtlich zu deutende Adjektive stehen nach dem Nomen, metaphorisch oder feierlich-poetisch gemeinte, davor: ‹Un uomo povero› ist ein Mann, der nicht genug Geld hat, während ‹un pover uomo› ein bedauernswerter Mann ist, der vielleicht sogar viel Geld hat, aber dennoch mit nichts, vor allem nicht mit seinem Leben zufrieden ist. Ein zartes Schnitzel ist ‹und scaloppa tenera› und das zarte Alter ‹la tenera età›. Wer also seiner Angebeteten sagt: ‹sei una cara ragazza› (du bist ein liebes Mädchen), kann ihre Gunst gewinnen, wer aber syntaktisch patzt und sagt: ‹sei una ragazza cara› (Mädchen, du kommst mich allmählich teuer zu stehen), kassiert vielleicht eine verdiente Ohrfeige.

Von ‹teuer› ist ebenfalls ‹beteuern› abgeleitet: ‹Der Angeklagte beteuerte seine Unschuld› meint ‹Der Angeklagte schwört bei allem, was ihm lieb und teuer ist, dass er unschuldig sei›.

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Kommentare 2

  1. Ah! Schon wieder etwas gelernt – und dies einmal mehr auf spannende und unterhaltsame Art! Herzlichen Dank, Alberigo. Ich liebe Deine Beiträge über alles!

    1. Post
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      Mich simuliert beim Schreiben jeweils die Vorfreude auf deine wohlwollenden Kommentare. Danke für dein Interesse. 🤗

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