Basel und die Fasnacht in der Fastenzeit

Alberigo Tuccillo Geschichte, Gesellschaft, Sprache Schreibe einen Kommentar

Mit dem Aschermittwoch, Lateinisch ‹Dies cinerum› (Tag der Asche), beginnt seit dem Pontifikat Papst Gregor I., auch Gregor der Große genannt, der von 590 bis 614 regierte, die vierzigtägige Fastenzeit (Lateinisch ‹Quadragesima›), die mit dem Karsamstag, dem Tag vor dem Osterfest endet. Die Bezeichnung ‹Aschermittwoch› kommt vom Brauch, an diesem Tag im Gottesdienst die Asche der nach dem Palmsonntag verbrannten Palmzweige des Vorjahres zu weihen und den Gläubigen ein Kreuz aus dieser Asche auf die Stirn zu zeichnen. Asche als Zeichen menschlicher Gebrechlichkeit und Vergänglichkeit sowie als Symbol der Trauer und der Buße findet sich bereits im Alten Testament an mehreren Stellen. Darüber hinaus wohnt der Asche, nach esoterischer Vorstellung, noch die reinigende Kraft des Feuers inne. Zudem wurde bereits in der Antike Asche als Waschmittel und für die Seifenherstellung verwendet, was schon etwas konkreter ist. Asche scheuert Schmutz und Altes ab. Warum sollte sie denn nicht zugleich für die Reinigung der Seele stehen? Sie war und ist für viele noch Sinnbild dafür, frei zu werden von altem Ballast und damit das Herz für Neues öffnen zu können — wie der Phönix im Feuer verbrennt und dann verjüngt aus der Asche wieder aufersteht.

Für gläubige Christen war es, und für manche ist es noch, am Aschermittwoch aus mit fleischlichen Genüssen: Fasten, das heißt: Verzicht auf bestimmte Speisen, vor allen Dingen auf Fleisch, gänzlicher Verzicht auf Üppiges, Abstinenz gegenüber Genussmitteln wie Alkohol, Kaffee, Süßigkeiten und gegenüber Sex. Ebenso waren feierliche Hochzeiten untersagt, Feste und Tanz, und auch wenn keine genauen Vorschriften darüber bestanden, galt es als schicklich, sich während der Zeit der Buße bescheiden oder gar schäbig zu kleiden, sich nicht zu schminken und keinen Schmuck zu tragen.

Heidnische Feste, zum Teil keltischen, aber auch römisch-etruskischen Ursprungs, die dem Aschermittwoch vorausgingen, den Winter austreiben oder die Fruchtbarkeit zelebrieren sollten und die trotz zunehmender Macht der Kirche in der Bevölkerung nicht völlig unterdrückt werden konnten, erfuhren wie andere heidnische Bräuche bereits in der Spätantike und im Frühmittelalter eine kirchengesteuerte christliche Umdeutung. Wie aus der Wintersonnenwende Weihnachten wurde und aus dem keltischen Fest der Göttin Ostara sowie aus dem jüdischen Pessach die Auferstehung Christi, so wurde aus der Winteraustreibung und den etruskischen Lupercalia ein christlich tolerierter Karneval: ein paar Tage, an denen vor den entbehrungsreichen Tagen und Wochen der Fastenzeit dem Volk noch einmal vergönnt war, das Leben in vollen Zügen zu genießen: ‹carne vale!›, ‹auf das Fleisch kommt es jetzt an!› — und damit war nicht in erster Linie das Fleisch im Teller gemeint als vielmehr das eigene Fleisch, dem man noch einmal zügellos und deftig gönnen wollte und gönnen durfte, was die auferlegte Askese bald abwürgen, unterdrücken und verbieten würde. Die Etymologie des Wortes ‹Fastnacht› und der Variante ‹Fasnacht› entspringt demselben Gedanken: Die Zeit vor der Fastenzeit. Die süddeutsche, bayrische, österreichische Bezeichnung für die Fastnacht ‹Fasching› leitet sich ab vom Mittelhochdeutschen ‹vast schanc› (Ausschenken eines Trunks vor dem Fasten).

Die berühmte Basler Fasnacht dauert statt sechs nur drei Tage. Sie beginnt jedoch am Montag nach dem Aschermittwoch! Fünf satte Tage nach Beginn der Fastenzeit! Genau dann, wenn jemand, der die strengen Fastenregeln einhalten will, am stärksten leidet, weil sich weder sein Stoffwechsel noch seine Gewohnheiten auf die rigorose Enthaltsamkeit eingestellt hat! So muss sich ein frommer Mensch, der sich gerade in Erfüllung seiner religiösen Vorschrift kasteit, verhöhnt und gedemütigt fühlen, wenn in der ganzen Stadt Musik erschallt, Maskierte sich vergnügen und von Buden und Ständen Düfte von gebratenen Würsten und süßen Gebäcken aufsteigen. — Eine Erklärung dafür, wieso in Basel die Fasnacht sechst Tage nach dem ersten Tag der Fastenzeit beginnt, zirkuliert in weiten Kreisen und wird von vielen unbesehen als bare Münze genommen. Sie wird mehrheitlich mündlich weitergegeben und verbreitet, von Hobby-Historikerinnen und -Historikern bei nicht offiziellen Stadtführungen erzählt, taucht aber ab und zu auch in Prospekten für Touristen auf, vereinzelt sogar in Zeitungsartikeln. Laut dieser Legende hätten die Basler während der Reformation, als sie den Bischof von Basel nach Solothurn verbannt hätten, auch die Fasnacht in die Fastenzeit gelegt, «um den Katholiken eins auszuwischen», wie es die Professorin Susanna Burghartz von der Universität Basel sarkastisch ausdrückt. — Ich selbst habe mir über die Geschichte lange keine Gedanken gemacht und sie vielleicht sogar hin und wieder jemandem erzählt, wie man auf Capri erzählt, die aus dem Meer ragenden hinkelsteinartigen Felsen seien vom Zyklopen Polyphem nach den fliehenden Griechen geworfen worden, nachdem Odysseus sein Auge geblendet hätte.

Gedanken machte ich mir darüber wie gesagt kaum, fand an der Geschichte aber auch nichts Störendes, denn es ist ja weidlich bekannt, dass streng Religiöse aller Glaubensrichtungen seit jeher dazu neigen, Anhänger anderer Religionen und Konfessionen dadurch zu verärgern, dass sie ihre eigenen Sitten und Bräuche vor allem dann ostentativ pflegen, wenn diese die anderen kränken. Aus Jonathan Swifts satirischem Roman ‹Gullivers Reisen› ist die Streitfrage um das ‹richtige Ende› des aufzuschlagenden Frühstückseis bekannt, die zum handfesten Kriegsgrund zwischen den Dickendern und den Spitzendern wird. Solche Geplänkel müssen schließlich nicht notwendig so grauenhafte Dimensionen annehmen wie in nicht allzu ferner Vergangenheit jene zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland.

Durch Recherchen, die ich aus einem anderen Grund und in einer völlig anderen Absicht durchgeführt habe, bin ich jedoch auf mehrere Fakten gestoßen, welche die böse Unterstellung definitiv widerlegen, die Basler Fasnacht fände in der Fastenzeit statt, um Katholiken zu necken und piesacken!

Schriftlich verbürgt ist, dass die Fasnacht in Basel bereits im 14. Jahrhundert zum selben Zeitpunkt stattfand wie heute, also rund zweihundert Jahre vor der Reformation. Vermutlich war in vorchristlicher Zeit ein keltischen Brauch nahtlos in die Fasnacht übergangen und war bereits so stark in der Bevölkerung verankert, dass die hierzulande noch nicht so mächtige Kirche, selbst wenn sie es gewollt hätte, wenig hätte unternehmen können, um den Zeitpunkt des traditionellen Anlasses zu verschieben, was jedoch im 14. Jahrhundert noch für niemanden von großer Bedeutung war.

Noch entscheidender scheint mir die Tatsache, dass die Fasnacht zwei Jahrhunderte später Reformierten und Protestanten viel stärker als den Katholiken ein Dorn im Auge war. Man sah darin geradezu ein Relikt aus katholischer Zeit, und in den reformierten Kantonen der Schweiz wurde die Fasnacht sogar bis ins 19. Jahrhundert verboten. Ein Verbot, das in Basel, anders als in anderen reformierten Kantonen wie Genf, Zürich oder Aargau, allerdings nie durchgesetzt werden konnte. Obwohl alle Versuche, die Fastnachtfeiern in Basel zu verbieten oder zumindest stark einzudämmen, nie das Geringste fruchteten, kam es 1835 trotzdem zu einer offiziellen Genehmigung durch den Basler Stadtmagistrat. Mit beachtlichem realpolitischem Sinn wurde verordnet, was sich nicht hatte unterbinden lassen.

Weniger wichtig, aber in diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, dass der Bischof von Basel mitnichten während der Reformation vertrieben wurde! Dieser verlegte seinen Verwaltungssitz — aus welchen Gründen auch immer — erst 1823 nach Solothurn.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert