Die Zahl der Anglizismen, der aus dem Englischen übernommenen Ausdrücke, nimmt seit Jahrzehnten in allen Sprachen Europas, vermutlich sogar der ganzen Welt, stetig zu. Anglizismen werden kontrovers beurteilt. Einerseits schätzt man sie dafür, dass sie neue Realitäten bezeichnen und so dazu beitragen, dass sich die Sprache einem veränderten Umfeld anpasst. Die Initiative ‹Anglizismus des Jahres› würdigt beispielsweise jährlich den positiven Beitrag des Englischen zur Entwicklung des deutschen Wortschatzes. Auf der anderen Seite wird beklagt, Anglizismen würden überhandnehmen und auch dort verwendet, wo es sie gar nicht braucht. Oft werden sie auch als Symptom einer schleichenden Amerikanisierung und als Bedrohung der deutschen Sprache angesehen.
Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz reichte am 18. März 2004 durch Ständerat Didier Berberat folgendes Postulat (04.3159) ein:
«Der Bundesrat wird eingeladen, dafür zu sorgen, dass die Bundesverwaltung und die vom Bund kontrollierten Unternehmen die Verwendung englischer oder amerikanischer Ausdrücke vermeiden, wenn es deutsche, französische oder italienische Entsprechungen gibt.»
Beide Haltungen, sowohl diejenige, die bestrebt ist, den fremdsprachigen Einfluss möglichst gering zu halten, als auch jene, die in der Übernahme fremder Lexeme eine Bereicherung sieht, können für sich mit durchaus überzeugenden Argumenten auftreten. Und man muss sich meines Erachtens auch nicht in fundamentalistischer Weise ganz auf die eine oder auf die andere Seite schlagen. Jede Entwicklung vollzieht sich in jedem Bereich im Spannungsfeld konträrer Kräfte: Die biologische Evolution ist beispielweise das Ergebnis eines konservativen Prinzips, nämlich der Replikation, des getreuen Kopierens des Erbgutes, und eines innovativen Prinzips, der Mutation. Die Selektion entscheidet darüber, was sich schließlich durchsetzt. Auch in der Entwicklung der Künste spielt der Widerstreit zwischen konservativer und progressiver Haltung eine sehr ähnliche Rolle: Künstlerinnen und Künstler erlernen von den Alten sowohl das Handwerk als auch die Tradition von Form und Ausdruck. Ihre Kreativität drängt sie jedoch stets, den Rahmen des Althergebrachten zu sprengen, um neue Ausdrucksformen zu erschaffen. Publikum, Kritik und Historie entscheiden dann darüber, welche Innovationen verstummen und versiegen und welche eine neue Ästhetik begründen. Nicht anders steht es in den Naturwissenschaften, in denen Ptolemäus schrittweise von Kopernikus, dieser von Giordano Bruno, dieser wiederum von Edwin Hubble abgelöst wurde, oder Galileis, Keplers und Newtons Erkenntnisse als Apodiktum studiert, doziert und überliefert wurden, bis Einstein und Plank sie durch neue und tauglichere Theorien ersetzten.
So war es auch in der Entwicklung der Sprachen seit jeher! Wollten wir alles Lateinische aus der deutschen Sprache verbannen, müssten wir uns nicht bloß von Offensichtlichem verabschieden wie ‹Jurisprudenz›, ‹Medizin›, ‹Rektorat›, ‹Salär›, ‹Kuratorium›, ‹Sanität›, ‹Spekulant›, ‹Datum› und unzähligen anderen Wörtern, sondern auch von ‹Straße›, ‹Fenster›, ‹Maus›, ‹Käse›, ‹Katze› und sogar von Verben wie ‹haben›, ‹sparen›, ‹schreiben›, ‹essen›! — Deutsch ohne Arabisches hätte keinen ‹Horizont›, keinen ‹Kaffee›, keinen ‹Alkohol›, keinen ‹Zucker›, keine ‹Aprikosen›, keine ‹Chemie›, um nur einen winzigen Teil der arabischen Sprachimporte zu erwähnen. — Der hoffnungslose Versuch, den unermesslichen Beitrag der französischen, italienischen, spanischen, portugiesischen, jiddischen, hebräischen, niederländischen, skandinavischen und slawischen Sprachen in der Bereicherung der deutschen auch bloß annähernd zu umreißen, würde jede Grenze überschreiten (zumal bereits ‹Grenze› ein polnisches Wort ist, das die deutsche ‹Mark› — nicht die Währung! — im 16. Jahrhundert binnen weniger Jahrzehnte vollkommen verdrängt hat). — Vom Griechischen, das wie keine andere Sprache der Welt (fast) alle anderen Sprachen der Welt mit Begriffen und Wortelementen bereichert hat und noch immer bereichert, ganz zu schweigen! Griechisch sind ‹Dialog›, ‹logisch›, ‹apathisch›, ‹hysterisch›, ‹hygienisch›, ‹Diät›, ‹Idee›, ‹Kino›, ‹Chirurg›, ‹Grafikerin›, ‹Fotograf›, ‹Mikrofon›, ‹parallel›…, griechisch sind die ‹Engel›, der ‹Teufel›, der ‹Idiot›, der ‹Barbar›, die ‹Evangelien›, die ‹Monarchie›, die ‹Utopie›, die ‹Ästhetik›, die ‹Erotik›, die ‹Politik›, die ‹Polizei›, das ‹Chaos›, das ‹Xylophon›, das ‹Pentagon›, die ‹Synagoge›, die ‹Synapsen›…
Es war also immer schon so. Unzählige Wörter und Sprachelemente, die sich im deutschsprachigen Raum inzwischen ganz heimisch und vollkommen assimiliert fühlen, haben Migrationshintergrund. Zurzeit kommen sie halt vermehrt aus dem angelsächsischen Raum — so what?
Merkwürdig ist jedoch, dass sehr oft Anglizismen, gegen die sich der Sprachpurismus wehrt, in Wirklichkeit gar keine sind. Neulich suchte während einer Unterhaltung mit einem Fußballtrainer ein sympathischer Sportjournalist am Schweizer Fernsehen vergeblich nach einem deutschen Wort für ‹Sponsor›. Er maß seinem lässlichen Scheitern zwar nicht allzu große Bedeutung bei. Bevor er aber zu seinen Fragen und Überlegungen zum Fußball zurückkehrte, sagte er beiläufig, er bemühe sich, so wenig Anglizismen wie möglich zu verwenden, aber in diesem Fall gebe es ja keinen Ersatz, denn Mäzen sei nicht dasselbe.
Auweia! Da haben sich aber beim populären Fernsehmoderator fast ebenso viele Irrtümer wie Wörter in einen einzigen Satz geschlichen: 1. Sponsor ist mitnichten ein englisches Wort, folglich auch kein zu vermeidender Anglizismus, 2. Mäzen ist kein deutsches Wort, das einen gefährlichen exogermanischen Eindringling überwältigen, unschädlich machen und ersetzen könnte, 3. ‹Mäzen› und ‹Sponsor› sind ungefähr zur selben Zeit aus demselben Sprachraum in den deutschen Sprachraum gedrungen, 4. ‹Mäzen› und ‹Sponsor› gehören heute freilich einem anderen Sprachregister an und werden in einem anderen Kontext mit einer leicht verschiedenen Funktion verwendet. Ursprünglich bedeuteten sie aber sehr wohl dasselbe.
Das lateinische Verb ‹spondere› bedeutet: versprechen, sich verpflichten, für jemanden Verantwortung übernehmen, jemandem Sicherheit bieten; ‹sponsus› ist das Partizip davon, also: versprochen, verpflichtet, garantiert; und derjenige, der jemandem eine solche Garantie, einen wesentlichen Beistand verspricht, ist gemäß völlig üblicher und gewöhnlicher lateinischer Substantivierung ein ‹sponsor, sponsoris›! — Während der Republik und in den ersten Jahrhunderten des Kaiserreichs wurden mit dem Begriff ‹sponsor› vorwiegend Wohlhabende bezeichnet, die sich eines Waisenkindes oder mehrerer Waisenkinder annahmen und sich verpflichteten, bis zur Mündigkeit für sie zu sorgen, faktisch sie zu adoptieren. Im Mittelalter und bis ins 18. Jahrhundert war, vor allem in kirchlichen Dokumenten, Sponsor die Bezeichnung für den Taufpaten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert immer häufiger nicht Privatpersonen Sponsor genannt wurden, sondern Institutionen wie Klöster, Waisenhäuser, Armenhäuser oder Schulen.
Springen wir zurück ins erste vorchristliche Jahrhundert nach Rom. Nach vielen Kriegen, vor allem nach dem blutigen Bürgerkrieg kommt es endlich unter Kaiser Augustus zur ‹Pax Romana› oder ‹Pax Augusti› oder ‹Pax Augustea›, dem römischen Frieden. Den Römerinnen und Römern, sogar den Sklaven geht es wesentlich besser, die Armutsrate sinkt, die Alphabetisierung nimmt sprunghaft zu, die Kriminalität geht auf ein erträgliches Maß zurück, Handel, Wirtschaft, Bautätigkeit erleben einen nie zuvor gesehenen Aufschwung. Für eine Kategorie verbessert sich allerdings nichts: Für Dichter und Schriftsteller. (Ich habe die Dichterinnen und Schriftstellerinnen nicht zu erwähnen vergessen; es sind mir — den Göttern sei’s geklagt! — in der Zeit bloß keine bekannt).
Es ist leicht zu erklären, warum der rege Handel und die aufblühende Wirtschaft den Dichtern zwar möglicherweise in die Verse, aber nicht in den Sacculus, in den Geldbeutel spielten: Wer wie Vergil ein halbes Leben lang Hexameter an Hexameter gereiht und ein wunderbares Werk wie die ‹Aeneis› erschaffen hatte, hatte keine tonnenschwere Marmorstatue und kein Pantheon zu verkaufen, sondern lediglich zwei Librae (ungefähr 650 g) vollgeschriebener Pergamente. Es gab keine Verlage, keine Druckereien. Bücher wurden, wenn überhaupt ein Interesse dafür bestand, von Hand abgeschrieben. Und es gab kein Copyright! Wer also die Gelegenheit und das Interesse hatte, eine Kopie von Vergils ‹Aeneis› zu lesen und später für sich zu kopieren oder kopieren zu lassen, schuldete Vergil keinen Dupondius (kleinste römische Münze).
Wenn ein Dichter also dichten konnte und trotzdem nicht verhungerte, musste er einen Sponsor haben. Von jenen Dichtern, die entweder nicht gedichtet haben oder verhungert sind, wissen wir nichts. Aber von Vergil wissen wir, dass er tatsächlich einen Sponsor hatte!
Gaius Cilnius Maecenas (68 v.Chr. – 8 v.Chr.) war ein vermögender und einflussreicher römischer General, Politiker, Freund, Berater und enger Verbündeter des Kaisers Augustus; ein gelehrter Mann, ein gewandter Redner, der auf Griechisch ebenso wie auf Latein — laut Hinweisen auch auf Etruskisch — zu jedem Anlass und zu jedem Thema die Massen mit flammenden Orationes fesseln konnte. Seine Passionen waren die Künste, insbesondere die Literatur. Er war Förderer und Unterstützer vieler Dichter zu denen Horaz, Lucius Varius Rufus und Vergil gehörten. — Bereits in der Antike wurde Maecenas Name auch auf andere Förderer von Künstlern, vor allem von Dichtern verwendet und somit zum Synonym von Sponsor. Aus dem Frühmittelalter gibt es kaum Zeugnisse, aber im Hoch- und Spätmittelalter haben ‹Maecenat› oder ‹Mäcenat› oder ‹Mecenat› und Sponsor annähernd dieselbe Bedeutung, allerdings mit zum Teil erheblichen regionalen Unterschieden in der Verwendung. Sponsor wird häufiger in kirchlichen, Maecenat eher in weltlichen Dokumenten verwendet. Seit dem 16. Jahrhundert wird im deutschsprachigen Raum ‹Maecenat› allmählich zu ‹Mäzen›.
Zum Schluss: Selbstverständlich ist, bei der heutigen Verwendung, das Wort ‹Sponsor› aus dem Englischen importiert und wird mithin nicht ganz zu Unrecht als Anglizismus bezeichnet; aber bloß deshalb, weil man vergessen hatte, dass das Wort in ganz Europa mehr als tausend Jahre lang präsent gewesen war.
Kommentare 6
Vielen Dank für diesen sehr interessanten und erhellenden Artikel, lieber Alberigo!
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Ich bin es, der dir für das freundliche Feedback Dank schuldet, liebste Silke.
Zu lang? Mitnichten. Ich liebe diese Ausführungen. Danke.
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Oh, danke! Das freut mich sehr!
Ich habe noch nie „zu lange“ Artikel von Dir gelesen. Im Gegenteil! Meistens bin ich viel zu schnell am Ende angelangt, dabei würde ich doch so gerne noch weiter lesen, weil Deine Ausführungen wieder einmal unglaublich spannend und lehrreich waren. Danke dafür, lieber Alberigo!
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Das tut so gut, Sabina! Danke für deine ermutigenden Worte!