Atelierkonzert 67: 11. Februar 2024, 17:00 — St. Johanns-Vorstadt 16, Basel

Alberigo Tuccillo Gesellschaft, Kunst und Kultur Schreibe einen Kommentar

Fasnachtshauch und Ballgeflüster

Die (hoffentlich) gelungenen Versuche

Immer wieder kommt jemand auf die Idee, verschiedene Musikstücke bestimmten Kategorien zuzuweisen: «Unterhaltungsmusik – Ernste Musik», oder: «Jazz – Klassik», oder Pop, Schlager, Hits der 80er, Filmmusik, Punk, Leichte Klassik – und was immer der hilflosen Bemühungen mehr sein mögen. Wozu eigentlich? Musik kann zweckgebunden sein — Tanzmusik, Marschmusik, Trauermusik, Gebetsmusik. Manchmal ist Musik völlig zwecklos, sie genügt sich selbst. Dann spricht man von «absoluter Musik», oder von «Konzertmusik». Manchmal ist sie zweckgebunden und dient — siehe oben — dem Tanz, der Trauer, dem Gebet. Aber sehr oft ist sie nichts oder mehreres von alledem zugleich.

Manchmal ist sie Musik über Musik, reflektiert eine Gattung mit deren eigenen Mitteln. Meine Fasnachtsmärsche sind so; mehr gibt’s über sie nicht zu sagen. Sie sind der Versuch, Gesten und Eigentümlichkeiten der typischen Basler Fasnachtsmärsche (zwei davon erklingen zum Vergleich, beide von René Briellmann) in meine eigene Musiksprache zu übersetzen. Hoffentlich ist der Versuch gelungen; immerhin schafften sie es auf die Konzertbühne — für mich überraschend, aber Überraschungen sind nichts Ungewöhnliches in den «Atelier-Konzerten», auch in diesem nicht.

Zweifellos gelungen sind die Klavierstücke aus drei Epochen, die alle ebenfalls von frivolem Maskentreiben inspiriert sind. Die frühsten von François Coupérin sind hochbarocke Fantasien. Auf deutsch übersetzt lautet der Titel ungefähr «die französischen Narreteien oder die Augenmasken». Die genannten Farben der Masken sind hier die an französischen Maskenbällen gern vertretenen menschlichen Charaktere und deren Flirts untereinander zugeordnet. Ein wunderbares Beispiel für jene sehr beredte musikalische Rhetorik, deren einzelne Werke man sehr viel später als «Charakterstücke» bezeichnen wird, ist zum Beispiel Robert Schumanns schier überbordenden «Carnaval». Schumann lässt hier eine der bekanntesten Maskenfiguren auftreten: Den Arlequin, der auf den italienischen Arlecchino der Commedia dell’arte zurückgeht und der viel später als «Harlekin» an der Basler Fasnacht wieder auftaucht. Bei Schumann umrahmt der Arlequin eine «Valse noble».

Die «Valse noble» wird ein Jahrhundert später für Maurice Ravel zum hochvirtuosen Ausdruck seiner ambivalenten Faszination für den Wiener Walzer: Hatte er ihn zuvor in seinem fulminanten Orchesterwerk «La Valse» noch zerlegt und zerpflückt und als von ferne hereinwehende Klanggeste inszeniert, erscheint er hier in den «Valses nobles et sentimentales» in der Gestalt von kräftigen affektreichen Titanen, die in die Zukunft weisen — und schafft damit wohl eines der modernsten Werke des beginnenden 20. Jahrhunderts. Vielleicht einer der frühen Versuche einer Integration alter musikalischer Gesten und Formen in die Ahnung des kommenden Zerfalls der alten Tonalität?

David Wohnlich

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