Daniele Aletti

fbrugger Kunst und Kultur

Ein sprachgewaltiger Architekt des vertrackten und doppelbödigen Schachtelsatzes ist er freilich nicht, kein virtuoser Anwalt der eigenen ästhetischen Theorien und kein widerborstiger Provokateur, der eine geschickt gewählte Verschrobenheit zum medienwirksamen Markenzeichen macht. Die lakonische Art Daniele Alettis, des ruhigen und zurückhaltenden, in der Schweiz aufgewachsenen, mit der italienischen Sprache und Kultur jedoch weidlich vertrauten Bergamasken, ist sogar ansteckend; in seiner Gegenwart beginne auch ich unweigerlich schlichte Hauptsätze aneinanderzureihen und empfinde lange Pausen zwischen diesen nicht mehr als störend.

Scheinbar hat diese seine sprachliche Askese wenig mit seiner Bildhauerei zu tun. Scheinbar nur! Genau wie auch die bemerkenswerte Tatsache nur scheinbar an Folgerichtigkeit mangelt, dass unter den Künstlerinnen und Künstlern, die Daniele Aletti seit vielen Jahren unermüdlich und akribisch studiert, sich kaum welche finden, deren Arbeit auch nur entfernt an seine Skulpturen erinnert.

Die Weise, wie Aletti mit der Sprache – genauer: mit den Sprachen – umgeht, und seine Art, den Stein zu wählen, zu behauen, zu behandeln, die Formen zu ahnen, zu entwickeln, zu reduzieren, weisen Parallelen auf, die einer durch und durch konsequenten, integren und originären künstlerischen Haltung entspringen. Enthält sich der Künstler sprachlich jeder Manieriertheit, wartet er auf den einfachst möglichen Ausdruck, auf den von jedem Ballast befreiten, lapidaren Satz, um einen Sachverhalt auszudrücken, so verfährt er beim Bearbeiten des Steins vielleicht noch behutsamer.
 

Materialgerecht müsse man arbeiten, ja sicher, meint und (da er immer unprätentiös überzeugend wirkt) belehrt Aletti, doch werde diese Maxime oft missverstanden. Materialgerecht heiße nicht, dass man aus einem schweren, plumpen und rauen Stein die Idee der Schwere, der Plumpheit und der Rauheit herauslösen und geradezu potenziert veräußern soll. Es gelte vielmehr, seine verborgenen Eigenschaften zu suchen und diese sichtbar zu machen. Ein Stein hat nicht bloß eine Beschaffenheit; er hat auch eine Geschichte – die Begegnung mit dem Künstler, mit dessen Denken und Fühlen gehört mit zu dieser Geschichte. Die Seele des Künstlers wird zu einem Teil des Steins, noch bevor dieser zur Skulptur wird. Naturgewalten, die über Jahrtausende sowohl die mikroskopische als auch die makroskopische Gestalt des Materials geschaffen haben, finden in der Hand des Bildhauers eine Nachfolge; die vorläufig letzte Eintragung in ein langes Curriculum.

Die Idee der Leichtigkeit, der Weichheit, die Idee der Bewegung, der Verwandlung, der Transparenz, ja des Feuers, der Luft, des Wassers sind von diesem Gesichtspunkt aus intrinsisch mit dem Stein und seiner Geschichte verbunden, die Idee des Staunens, der Erotik, der Hoffnung, der Angst kommen durch den mit ihm dialogisierenden Künstler hinzu, die Idee der Irritation, des Gemeinsinns, der Distanz, der Zuwendung oder der Ablehnung mischen sich – den Betrachter vorausahnend – ein.

Vermittels einer solchen Lesart wird aus Alettis karger Sprache und introvertiert hermetischer Bildhauerei plötzlich Poesie und Prägnanz, mehr noch: Erzählung, Parabel, Vexierspiel und – um nicht ganz zu vergessen, was in dieser kurzen Betrachtung leider zu kurz kommt – Komödie, denn aus Alettis Werk klingt, leise und stetig wie ein Bordun, eine Note delikaten Humors mit.

Freilich läuft Aletti bei so viel Zurückhaltung Gefahr, dass man Schnörkellosigkeit für Einfallslosigkeit hält, Schlichtheit für Unbeholfenheit, Eigenständigkeit gegenüber Trend und Mode als Unkenntnis dessen, was sich in der Szene gerade tut; eine Gefahr, deren sich der Künstler selbst wohl bewusst ist. Dass ihn indessen diese Gefahr verführen könnte, in seinem beharrlichen Forschen nach Irrtümern (auch nach eigenen) nachzulassen, ist nicht zu befürchten. Wie sonst hätte es zu einem solchen Wurf kommen können, der «Venus» heißt?