Will you still be sending me a Valentine?

Alberigo TuccilloGeschichte, Gesellschaft, Sprache 7 Kommentare

Der Valentinstag war uns freilich auch in meiner Jugend bekannt, etwa so, wie den meisten bekannt ist, dass das chinesische und vietnamesische Neujahrsfest nicht mit unserem westlichen zusammenfällt oder dass mit Ostern fast zeitgleich das heidnische Lichtfest der Göttin Ostara, die Passionsgeschichte Jesu und das jüdische Pessach, der Auszug aus Ägypten, gefeiert werden. Ein Tag des Kommerzes, der wichtigste Umsatz des Jahres für Blumenhändler und für Anbieter von mit Herzchen verzierten Glückwunschkarten, von in Herzform gerahmten Erinnerungsfotos und von rosaroten Sex-Toys war der Valentinstag indessen noch nicht, und kaum jemand hätte auf Anhieb den 14. Februar nennen können, wenn man ihn oder sie gefragt hätte, wann das Fest der Verliebten zu begehen sei.

Mitte Februar 1973, zwei Wochen vor meinem achtzehnten Geburtstag, war ich auf einer Schülerparty der schönen rothaarigen Eliane mit der blassen Haut und den hübschen Laubflecken, Klassenkameradin meiner Schwester, und in die ich sehr verliebt war — schon seit einer Ewigkeit! Was in dem Alter bedeutet: seit Wochen. Zur Party eingeladen war im Grunde nicht ich, sondern bloß meine Schwester. Ich war nur Ersatz für einen echten Begleiter, weil meine Schwester zurzeit keinen Freund hatte.

Achtzehn ist ein Alter, das die Erinnerung seit jeher hartnäckig als glücklich verklären will. Und vielleicht war es das auch. In mancher Hinsicht. Nicht aber in jeder. Mit vierzehn hatte mein Interesse für Frauen sich zu regen begonnen und mit achtzehn und durch Eliane schien es die volle Intensität erreicht zu haben. Das Interesse, meine ich. Ich interessierte mich nun also für Frauen. Für richtige Frauen. Für Achtzehnjährige. Für jene Frauen, die nach der Schule vom zwei- oder sogar vierundzwanzigjährigen Medizin- oder Jurastudenten mit Papas Auto abgeholt werden. Für die achtzehnjährigen Frauen, die von achtzehnjährigen Männern wie mir, die zwar einen Papa, aber noch nicht einmal einen Führerschein haben, nicht viel halten und diese auf einer Party nur als Ersatz für einen echten Begleiter dulden, wenn die eigentlich Eingeladene zurzeit keinen Freund hat. Für achtzehnjährige Frauen waren achtzehnjährige Männer schlicht noch keine Männer, sondern Jungs, und wenn dem inzwischen siebzigjährigen Mann das schroffe weibliche Verdikt auch durchaus einleuchten mag, war es für den damaligen Achtzehnjährigen nicht leicht wegzustecken.

Die Zeitskala einfach nach unten zu verschieben, war auch kein Lösungsansatz. Sechzehn-, fünfzehn- und vierzehnjährige Mädchen waren eben Mädchen und keine Frauen und konnten somit das Schmachten des Achtzehnjährigen nicht lindern, abgesehen davon, dass sich vierzehnjährige Mädchen viel eher für ihre ebenfalls vierzehnjährige beste Freundin, für ihren Hund, für Pferde und allenfalls für Pop- und Filmstars aus den Illustrierten interessierten als für die achtzehnjährigen Männer in ihrer Umgebung.

Elianes Begleiter und momentaner Freund war ein Physikstudent, der ein halbes Jahr zuvor in ihrer Klasse den Mathematiklehrer vertreten hatte, als dieser einen militärischen Wiederholungskurs absolvieren musste. Mit ihm verstand ich mich auf Anhieb. Er fand mich nett. Vielleicht weil wir viele gemeinsame Interessen hatten und weil es mir gelang, mein Interesse für Eliane, das mir bei ihm keine Sympathie eingebracht hätte, zu kaschieren. Wir unterhielten uns lange über Mathematik und Philosophie, ich vertrat Ansichten, die ich inzwischen belächle, die ihn damals aber beeindruckten, und ich hatte das wohlige Gefühl, dass durch die steigende Anerkennung des Physikers für meine Person mich allmählich auch Eliane vom Stigma des Pubertären zu befreien begann.

Eliane war entzückt, als ihr Geliebter nach der Gitarre griff. Und auch dass er mich ans Klavier setzte und mir die Chords angab, schien sie zu freuen. Er sah sie an, wie man die achtzehnjährige Freundin am Valentinstag und an jedem andern Tag auch ansieht, dann begann er «When I’m Sixty-Four» zu spielen und zu singen. Ich kannte das Lied selbstverständlich und konnte ihn ohne Probleme begleiten. Er hatte eine sehr schöne Stimme. Ich spielte dafür besser als er. Ob es jemand überhaupt merkte, weiß ich nicht. Eliane strahlte. Als wir den Schlussakkord gespielt hatten und ich die letzten Töne der hübschen Klarinettenmelodie, die sich durch das ganze Lied schlängelt, gab es etwas Applaus von jenen, die nicht gerade am Knutschen und noch nicht völlig bekifft waren. Und dann bekam ich von Eliane einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich vom ihrem Freund wie das Lied von der Klarinettenmelodie umschlingen ließ.

Da begannen seltsamerweise und plötzlich, sogar binnen weniger Sekunden, Verliebtheit und Interesse für Eliane zu bröckeln, wie eine Sandburg am Strand in der sengenden Sonne austrocknet, der Wind den trockenen Sand wegbläst, die Struktur immer mehr verwischt, bis schließlich eine größere Welle brandet und von der Burgruine nichts als eine vage Spur hinterlässt. Und diese vage Spur war die Frage: «Wer ist eigentlich dieser Valentin, dessen Tag man der Liebe geweiht hat?»

Daran, wie das Fest ausging, kann ich mich nicht mehr erinnern, und ich weiß auch nicht mehr, wann ich herausfand, dass der Heilige Valentin mit den Verliebten so wenig zu tun hat wie der Heilige Silvester mit dem Jahresende. Aber bei Valentin ist die Sache noch viel vertrackter als bei Silvester! Es gibt nämlich im frühen Christentum mehrere Heilige mit diesem Namen, die man lange und fälschlicherweise für dieselbe Person hielt, und einzelne dieser Personen, die man später als verschieden zu erkennen vermeinte, erwiesen sich dann doch als ein und derselbe Mensch, wobei von keinem außer von Valentin von Terni, der 273 den Märtyrertod erlitt, die Existenz wirklich verbürgt ist. Das Todesjahr scheint einigermaßen sicher zu sein, während der Todestag, nämlich der 14. Februar, erst 496, also 223 Jahre später, und ohne jegliches Fundament durch Papst Gelasius I. festgelegt wurde. Weil im Februar verschiedene heidnische Feste wie das etruskisch-römische Fest der Reinigung, die ‹lupercalia›, und unabhängig davon auch keltische Fruchtbarkeitsfeste gefeiert wurden, begannen im Hochmittelalter, also fünfhundert Jahre später, Legenden zu entstehen, die dem Heiligen eine gewisse Mediator-Tätigkeit für zerstrittene Liebespaare andichten. So sagt eine dieser Legenden, Valentin habe einem keifenden und zeternden Pärchen verordnet, gemeinsam eine Rose in den Händen zu halten, bis diese verwelkt sei, und dadurch hätten sich die beiden wieder verliebt und fortan vertragen. Die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen, dass sich Streitende an eine solche, euphemistisch gesagt, außergewöhnliche Anweisung halten und dadurch versöhnen lassen würden, sei den Lesenden überlassen.

Fakt ist, dass sich erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts beim englischen Dichter Geoffrey Chaucer ein erster schriftlicher Hinweis darauf finden lässt, dass wenigstens in England der Valentinstag, der 14. Februar mit der Liebe und der Verliebtheit in Verbindung gebracht wurde. In Italien hingegen erschien 1646 Valentins romanhafte lateinische Biografie von Francesco Angeloni unter dem Titel ‹Historia Terni›, und darin gibt es nicht den geringsten Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen dem römischen Märtyrer und der Verliebtheit.

Kommentare 7

  1. Sehr unterhaltsam, toll geschrieben!

    Zum Valentin kursieren allerlei Erklärungen im Netz; es sei ein Heiliger gewesen, „ Schutzpatron der Liebenden“, der im 3. Jh. Paare christlich getraut hätte, was verboten war. Deshalb sei er dann auch hingerichtet worden…

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      Danke wieder einmal für dein ermutigendes Lob! — Ich kenne die meisten dieser «Erklärungen». Was sie gemeinsam haben, ist, dass sie alle frühestens tausend Jahre nach dem Ereignis entstanden sind, das sie zu erklären vorgeben.

      1. ….da wird zusammengeschustert was das Zeug hält – bis ein niedliches Schühchen präsentiert werden kann…😁

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          Dass man sich fantasievolle Geschichten ausdenkt, um irgendetwas zu erklären, war immer schon der Fall. Alle Mythologien sind schließlich so entstanden. Ich finde es an sich ganz toll. Leider gibt man diese Geschichten dann oft als historische Tatsachen aus, wodurch sie den literarischen Reiz und Wert der Fiktion verlieren und religiösen Dogma verkommen.

  2. Vielen herzlichen Dank für die wunderbare und herzerwärmende Geschichte!
    Für den Valentin selber habe ich mich eigentlich nie interessiert, auch der Valentinstag hat nie eine Bedeutung gehabt in meinem Leben. Aber immerhin verstehe ich nun nach Lektüre Deiner Erklärungen, warum ich bis heute nichts mit Schnittblumen – und hier vor allem Rosen(!) – anfangen kann. Wahrscheinlich war ich die arme Krawallschachtel, die damals von Valentin dazu verdonnert wurde, mit meinem verkrachten Partner eine Rose in den Händen zu halten, bis diese verwelkt war. Und nein, wir haben uns dabei nicht versöhnt…

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      Wer den Frieden aufs Spiel setzt und dich so sehr ärgert, dass du sogar eine Krawallschachtel wirst, wird sich nicht durch eine Rose zur Vernunft bringen lassen (und eigentlich verdient er es auch nicht).

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