Darf man nach dem Sternzeichen fragen?

Alberigo Tuccillo Gesellschaft, Philosophie Schreibe einen Kommentar

Was ich von der Astrologie halte, habe ich in anderen Artikeln bereits mehrfach geklärt. Diese meine Haltung spielt aber bei den nun folgenden Überlegungen nicht die geringste Rolle. Ich gehe in dieser kleinen ethischen Untersuchung nicht von dem aus, was meiner Meinung nach die Astrologie zu leisten oder eben nicht zu leisten in der Lage ist, sondern richte mich einzig nach der Ansicht und der Überzeugung derer, die unter Umständen und in bestimmten Situationen überhaupt auf die Idee kommen können, die Frage zu stellen, deren Legitimität beziehungsweise deren nicht gehörige Zudringlichkeit hier geprüft und beurteilt werden soll.

Als Vorbereitung auf meine Untersuchung habe ich 18 Personen in meinem Umfeld, von denen 6 an Astrologie glauben und 12 nicht, die wie folgt formulierte Frage gestellt: «Darf man deiner Meinung nach jemanden nach seinem beziehungsweise ihrem Sternzeichen fragen?» — Die Antworten auf meine Frage waren: «Ja.» (3), «Na klar.» (5), «Sicher.» (1), «Warum nicht?» (3), «Wenn man glaubt, damit etwas anfangen zu können, meinetwegen.» (2), «Da ist doch nichts dabei.» (3). Alle waren sich, ohne lange darüber nachzudenken, mehr oder wenig einig, dass die Frage zu stellen, nichts Ungebührendes ist. Nur mein Bruder gab eine zwar listige, aber nicht auf Anhieb zweifelsfrei deutbare Antwort. Er sagte: «Man sollte dann das erste Sternzeichen angeben, das einem zufällig in den Sinn kommt.» Ich habe später mit meinem Bruder über seine Äußerung gesprochen, und es stellte sich schnell heraus, dass seine Antwort ziemlich genau jener entsprach, die mir 2 andere Personen gegeben hatten, nämlich: «Wenn man glaubt, damit etwas anfangen zu können, meinetwegen.» — Von den 18 Befragten fanden zwar einige, dass die Frage wenig oder nichts taugt, aber verletzend oder unmoralisch fand sie niemand.

Ich fragte dann dieselben Personen, ob es denn ihrer Meinung nach keine Fragen gebe, die man einem Menschen, den man nicht sehr gut kennt und zu dem man kein intimes Verhältnis hat, nicht stellen dürfe. Und da waren alle Antworten und Ansichten ebenfalls ziemlich ähnlich. Ich nenne hier bloß einige Äußerungen: «Anmaßend wäre zum Beispiel, jemanden, mit dem man nicht eng befreundet ist, zu fragen, ob er vorbestraft ist oder sogar eine Gefängnisstrafe abgesessen hat.» Einige — ausschließlich Schweizer, was bestimmt bloß Zufall ist — waren der Meinung, man dürfe nicht nach dem Einkommen oder überhaupt nach der finanziellen Situation fragen. Andere fänden es unverschämt, nach sexuellen Präferenzen oder danach zu fragen, wie oft man mit wem und auf welche Weise Sex hat. Einer sagte, er würde nur einem Arzt, einer Ärztin Fragen über frühere Erkrankungen beantworten, und auch diesen würde er eine solche Auskunft nur dann geben, wenn diese Informationen aus medizinischen Gründen relevant wären. Alle fügten ihren Beispielen, die sie genannt hatten, eine Bemerkung hinzu, die man etwa wie folgt verallgemeinern kann: «Man hat doch im Gefühl, was zu fragen impertinent ist, weil es intim und persönlich ist und einen nichts angeht.»

Nun wollte ich dafür eine Begründung bekommen und fragte: «Warum darf man deiner Meinung nach einen Menschen, zu dem man kein enges Freundschafts- und Vertrauensverhältnis hat, Intimes und Persönliches nicht fragen?» — Die ersten Antworten waren nun durchweg ausweichend und im Grunde tautologisch: «Das geht doch einen Fremden überhaupt nichts an!», «Warum will der denn sowas überhaupt wissen?», «Es ist übergriffig.», «Es gehört sich nicht.», «Ich kann Leute nicht ausstehen, die ihre Nase in die Angelegenheiten anderer stecken!» — Alle diese wohl üblichen, normalen und sehr verständlichen Äußerungen sind natürlich keine Begründungen. Sie sagen in der Quintessenz: «Es gehört sich nicht, solche Fragen zu stellen, weil es sich nicht gehört.» — Ich bohrte also nach, wollte eine echte Erklärung, eine Begründung, die der Motivation und der möglichen Folgen solcher als impertinent empfundenen Fragen genau Rechnung trägt. Und mit der Zeit bekam ich auch durchaus stichhaltige Argumentationen. Die klarste und meiner Ansicht nach überzeugendste, die schließlich alle anderen zusammenfasst, die ich hier ungekürzt und bloß auf Deutsch übersetzt wiedergebe, ist diejenige meines jüngeren Sohnes:

«Dafür gibt es gleich zwei Gründe. Erstens ist eine Information über einen einstigen Fehltritt von mir oder über einen vermeintlichen Wesenszug für jemanden, der mich nicht gut kennt, zu dem ich kein enges Verhältnis habe, von vornherein aus dem Kontext meines Lebens, meines Umfeldes und meiner Entwicklung herausgelöst. Dennoch würde diese nichts Bestimmtes aussagende und an sich unbrauchbare Information den Fremden dazu verführen, aus ihr Schlüsse über mich zu ziehen, und Schlüsse aus falschen Prämissen sind selbst dann falsch, wenn sie zufälligerweise zutreffen. Die unbrauchbare Information kann zu nichts anderem führen als zu Vorurteilen, viel eher noch zur vermeintliche Bekräftigung bereits bestehender Vorurteile. Zweitens ist anzunehmen, dass ich den Fragenden, zu dem ich keine Vertrauensverhältnis habe, ebenso wenig kenne wie er mich. Also habe ich keine Gewissheit darüber, ob er das nicht kontextualisierte, folglich nutzlose Wissen zu meinem Nachteil und Schaden verwenden will.»

Zurück zur Frage, ob es legitim und sittlich ist, jemanden nach seinem Sternzeichen zu fragen. Dabei gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder glaubt, war nach dem Sternzeichen fragt, daran, dass er aus der Antwort eine für ihn auf irgendeine Weise nützliche Information bekommt, oder er glaubt nicht daran. Tertium non datur. Wenn er nicht daran glaubt, braucht er die Frage auch gar nicht zu stellen. Wenn er aber daran glaubt, verschafft er sich durch eine eventuelle, unvorsichtigerweise gegebene Antwort ein vermeintliches und völlig aus dem Zusammenhang einer Biografie und einer Gesamtheit herausgerissenes ‹Wissen›, das er missbrauchen könnte und notwendigerweise missbrauchen wird, weil allein schon der Gebrauch eines nicht kontextualisierten ‹Wissens› unweigerlich ein Missbrauch ist!

Die Frage ist zudem noch viel perfider, denn sie lässt dem Befragten keine Möglichkeit, sich dem Missbrauch zu entziehen. Nehmen wir an, ein nach seinem Sternzeichen Gefragter würde dem ersten Vorschlag meines Bruders folgen und das erstbeste, mit elf Zwölftel Wahrscheinlichkeit falsche Tierkreiszeichen angeben. Der Fragende wüsste nun aber nicht, dass er statt der unbrauchbaren eine ebenso unbrauchbare Information bekommen hat, also würde er seine Vorurteile statt auf Unbrauchbares auf ebenso Unbrauchbares aufbauen, was weder für den Fragenden noch für den Befragten noch für die Folgen einen Unterschied ergeben würde. Ich habe es, wann immer ich jemandem irgendein Sternzeichen angegeben habe, noch nie erlebt, dass mir der Fragende gesagt hätte: «Jetzt belügst du mich! Du bist nicht Waage! Das kann nicht sein!» Immer schien dem Fragenden mit scheelem Lächeln eine düstere Finsternis aufzugehen, und die Krallen des Vorurteils gruben sich unerbittlich und nickend ins Nichts.

Nehmen wir nun aber an, man würde die Antwort verweigern und freundlich sagen: «Darüber gebe ich keine Auskunft.» Auch das habe ich oft versucht und auch das hat nichts je am äußerst unangenehmen Missbrauch der nicht gegebenen Information geändert. Wann immer ich mich dafür entschieden habe, auf die lästige Frage nicht zu antworten, habe ich im Gesicht des ungebetenen Inquisitors keine Enttäuschung gelesen, sondern das Rattern des Räderwerks phantasmagorischer Syllogismen: Die mich musternde Person zog jeweils an den Haarend des Nichts nicht weniger Schlüsse herbei als am angeblichen Treiben der Planeten im Hause irgendwelcher Konstellationen. Die Mimik des transgressiven und transzendenten blinden Voyeurs nahm jeweils die Züge des Durchschauers an, und aus schmalen Lippen und zugekniffenen Augen kamen mir Ungeheuerlichkeiten entgegen wie: «Hast du Mühe damit, zu deinem Wesen zu stehen?» oder «Neigst generell zum Verdrängen?»

Ich meine damit selbstverständlich nicht das alberne heitere Fragen unter Freunden, wenn man der Sache bloß Unterhaltungswert beimisst und darüber grölt, wie man sich über Sprüche erheitert wie «Der Neapolitaner flirtet wieder mal mit der Bedienung!» oder «Einen Doktor in Mathematik, aber die Zeche für drei Bier und ein Glas Wein ausrechnen kann sie nicht». — Aber wenn man es ernst meint, darf man nicht fragen.

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