Dringende Leseempfehlung: «Die Gärten der Finzi-Contini»

Alberigo Tuccillo Gesellschaft, Literatur, Philosophie Schreibe einen Kommentar

Giorgio Bassani «Die Gärten der Finzi-Contini», aus dem Italienischen von Herbert Schlüter, ISBN 978-3-8031-2404-3

«Die Gärten der Finzi-Contini» (Il giardino dei Finzi-Contini) ist der wohl berühmteste Roman des italienischen Schriftstellers, Dichters und Journalisten Giorgio Bassani (1916-2000). Er erzählt die Geschichte einer jüdischen Familie in der norditalienischen Stadt Ferrara während der 1930er Jahre, der Zeit, in der Italien — bereits seit Mussolinis Machtergreifung 1922 — vom faschistischen Regime regiert wurde. Im Mittelpunkt des Romans steht die Familie Finzi-Contini, eine der vermögendsten und einflussreichsten jüdischen Familien der Stadt und der ganzen Region Emilia-Romagna.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der vornehme, seit Jahrzehnten liebevoll gepflegte, geschmackvoll angelegte Garten der Familie, ein Ort der Ästhetik, der Kultiviertheit und Abgeschiedenheit, der immer deutlicher zum Symbol für ihre Trennung von der übrigen Gesellschaft wird. Die Finzi-Contini sind eine Familie, in der humanistische Bildung, Anstand und Sittsamkeit, Großzügigkeit und soziales Engagement fundamentale Werte sind, aber ihr Judentum macht sie zum Objekt von Diskriminierung und Feindseligkeit durch das faschistische Regime, was nach und nach und im Widerspruch zu ihren Prinzipien zu ihrer Abschottung führt.

Der Protagonist und Kindheitsfreund der Finzi-Contini, der namenlose Ich-Erzähler (der in einigen Inhaltsangaben unzulässigerweise mit dem Autor gleichgesetzt wird) berichtet von seinen Erfahrungen und von den Beziehungen zu dieser Familie. Er verliebt sich in Micòl, in die jüngste Tochter der Finzi-Contini, aber ihre Beziehung wird — nicht nur, aber vor allem — durch die sozialen und politischen Barrieren erschwert und letztlich verunmöglicht, die immer krasser und einschneidender werden. Micòl ist ein geheimnisvolles Mädchen mit blonden Haaren, die leidenschaftlich gern Tennis spielt, die alten Bäume im ummauerten Park der Eltern liebt, als wären es Personen, und nicht ertragen kann, wenn jemand ordinär ist und sich gewöhnlich benimmt. Später, als Studentin, flirtet sie zwar gern mit jungen Männern, wenn diese geistreich und fantasievoll sind, bleibt aber letztlich stets unnahbar und lässt ‹niedere› Gefühle wie Verliebtheit nicht an sich heran. Erst als der örtliche Tennisclub wegen der Rassengesetze die jüdischen Mitglieder ausschließt, öffnet sich der Garten der Finzi-Contini für die jüdische Jugend Ferraras und wird zu ihrem Treffpunkt — bis zu einem Tag im Herbst 1943, an dem Micòl mit ihrer ganzen Familie deportiert wird und «keiner weiß, ob sie ein Grab gefunden haben».

Im Laufe der Geschichte wird immer deutlicher, dass die politische und überhaupt gesellschaftliche Situation für die Juden in Italien nunmehr irreversibel zum Kesseltreiben entartet ist. Die faschistischen ‹Rassengesetze› (Leggi razziali) werden 1938 eingeführt und die Verfolgung der jüdischen Mitbürger wird immer barbarischer. Die Familie Finzi-Contini kann trotz ihres Reichtums und ihres Einflusses der sich anbahnenden Tragödie nicht entrinnen, die schließlich in deutschen Vernichtungslagern endet.

Der Roman lotet Themen wie Antisemitismus, unerwiderte Liebe, Verlust und verzerrte Erinnerung glasklar aus. Giorgio Bassani zeichnet unerbittlich ein ehrliches, unumwundenes und bewegendes Bild des Lebens der italienischen Juden während der Zeit des Faschismus und zeigt die allgemein verheerenden Folgen von Diskriminierung und Hass auf.

«Die Gärten der Finzi-Contini» ist fraglos eines der aufwühlendsten Meisterwerke der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Der pastellhafte, obwohl vordergründig sachliche, nüchterne, scheinbar schnörkellose Erzählstil und die tiefen, an Camus’ Existentialismus erinnernde Reflexionen über die menschliche Existenz machen den Roman zu einem Werk von großer philosophischer, politischer und literarischer Bedeutung.

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