Sei kein Frosch!

Alberigo Tuccillo Kunst und Kultur, Literatur, Sprache 6 Kommentare

Löwe, Stier und Adler symbolisieren in Wappen und Erzählung die Macht. So auch der Bär. Ein edles Pferd steht für den Ritterstand, die giftige Schlange für die Apothekerzunft, aber auch für die sündenhafte Verführung, das Lamm hingegen für Unschuld und Reinheit. Der Fuchs gilt als schlau und durchtrieben, der Hund als treuer Gefährte des Menschen, der Hahn ist stolz, die Eule weise, die Schildkröte unbesiegbar wie eine uneinnehmbare Burg. Übertrieben eitel ist der Pfau, störrisch, doch arbeitsam der Esel und fleißig sind Bienen und Ameisen. Viele Tiere haben in der Kunst und in der Literatur eine mehr oder weniger genaue metaphorische Bedeutung, auch wenn die Symbolik nicht in allen Kulturen die gleiche ist.

Und der Frosch? Stets aus der Froschperspektive, bald als Wetterfrosch, bald als Froschkönig taucht er dann und wann doch unverhofft in Wendungen, Mythen und Märchen auf. Verlangt man von jemandem Unmögliches, entfährt es einem: «Zeig einer, wo der Frosch die Locken hat!», wirft man jemandem Feigheit oder zumindest allzu starkes Zögern vor, ruf man ihm zu: «Sei kein Frosch!», eine völlige Sinnlosigkeit ist: «Fröschen zu trinken geben.» und manchmal hat man ‹einen Frosch im Hals›, womit man sowohl konkreten Erkältungsschleim meinen kann, als auch etwas Seelisches, Emotionales, etwas Ergreifendes oder Belastendes, was man weder einfach schlucken noch befreiend aussprechen kann. Letztere Wendung teilt der Frosch sich mit seiner Cousine, der Kröte, die jedoch für diese Betrachtung wie Molch, Salamander und andere Amphibien in einen Topf — vorerst noch in keinen Kochtopf! — zu werfen ist.

Obwohl er uns in Sprache und Literatur immer wieder begegnet, hat der Frosch — anders als andere mit symbolischer Bedeutung verwendete Tiere — keine bestimmten Charakteristiken und Eigenschaften. In Grimms Märchen kommt er ab und zu aus dem Wasser, sagt etwas, was auch ein Vogel oder eine Maus sagen könnte — wenn man vorerst einmal in Märchen etabliert hat, dass Tiere sprechen —, und taucht wieder ab. Auch im Gedicht von Matthias Hoppe ‹Der Frosch und der Storch› ist, was der Frosch tut, nichts Weiteres als zu verschwinden:

       Schnell sucht der Frosch sich ein Versteck.
       «Hallo, du Storch, jetzt bin ich weg!
       Da kannst du aber lange suchen
       und noch so bös und grimmig fluchen!»

Nicht zufällig nennt Patrick Süskind in seinem berühmten Roman ‹Das Parfüm› seinen Protagonisten, einen charakterlosen Mann, der keine Freunde, keine Verwandten, keinen Umgang, keine klare Herkunft, kein Ideal, kein Streben, nicht einmal einen Geruch hat, Jean-Baptiste Grenouille! Kermit, der begnadete Entertainer aus der Muppet Show und Lover von Miss Piggy, ist, anders als Grenouille, eine einnehmende und nicht bloß bei Kindern beliebte Figur. Kermit ist witzig, beredt, heimlichfeiß, ein subtiler Meister des Understatements, aber er hat nichts Froschhaftes an sich, außer dass er ein Frosch ist, nichts, was Figur und Charakter zwingend mit dem Tier verbindet. Er könnte ebensogut ein Igel sein, ein Erdferkel oder ein Wombat.

Frösche sind für die Vorstellung und Empfindung der meisten Menschen etwas Verborgenes und zugleich Gegenwärtiges, Mysteriöses und dennoch nichts Mystisches, man hört sie zur Paarungszeit quaken, wenn man in der Nähe eines Teichs wohnt, einige exotische Arten ferner Länder sind sehr bunt, das weiß man, winzig klein, manche giftig, oder sehr groß wie jene im Titicacasee, doch weiter zu tun hat man mit ihnen nichts. So ist es denn auch kein Zufall, dass der Froschmann, eine alte Bezeichnung für den Taucher, aus unserem Sprachgebrauch mehr oder weniger verschwunden ist, als Unterwasserkameras in aller Deutlichkeit festhielten, was Menschen bei ihren Tauchgängen tun und in der Unterwasserwelt sehen.   

Der Frosch wirkt schleimig, glitschig, schlabbrig. Wenn man mit den Tieren nicht vertraut ist, hat man starke Abneigung, sie zu berühren. Und dennoch ist irgendetwas an ihnen so stark anziehend, dass die Vorstellung entstanden ist, man könne, wenn man den Ekel überwinden würde, den richtigen Frosch sogar zu küssen, vielleicht geradezu königlich belohnt werden.

Kommentare 6

  1. Anders als viele weitere Vertreter der großen Amphibienfamilie erfreut sich besonders der Frosch anscheinend großer Beliebtheit. Zwar will ihn die Prinzessin aus dem bekannten Märchen „Der Froschkönig“ der Gebrüder Grimm nur ungern von ihrem goldenen Teller essen lassen oder gar mit in ihrem Prinzessinnenbettchen schlafen lassen, aber wenn der König sagt „Was man versprochen hat, muss man auch halten“, fügt sie sich schließlich widerwillig ihrem Schicksal und gewährt dem „garstigen Wasserpatscher“ all seine Wünsche, um schließlich erstaunt festzustellen, dass sie sich komplett in ihm geirrt hat, als er sich plötzlich als junger, schöner Mann und Königsohn entpuppt. Der Frosch ist ein Fabeltier und wir lieben ihn dafür. Berühmte Frösche gibt es überall. Dazu gehören neben Kermit, dem begnadeten Entertainer aus der Muppet Show und Lover von Miss Piggy noch viele weitere Vertreter der Gattung. Auch das englische Kinderlied „Froggy went a courtain“ beschäftigt sich mit dem emsigen Tierchen, das uns an warmen Frühsommerabenden mit seinem permanenten Balzgequake auch durchaus einmal gehörig auf die Nerven gehen kann. Der Frosch ist männlich, viril, potent, fröhlich, lustig und steht für die intakte Natur. Er begegnet uns auf Schuhcremedosen, auf der Verpackung von umweltfreundlichen Reinigungsmittel und auf Schildern als Symbol für Gewässerschutz. Ob es damit zu tun haben könnte, dass er niedlich aussieht und schwimmt, wie ein kleiner Mensch? Dass er sich leicht zeichnen lässt und große Augen hat, die das Kindchen Schema in uns ansprechen? Bestimmt kommen hier einige Faktoren zusammen, die den Frosch zu einem Star der Amphibienfamilie werden ließen. Wir lieben den kleinen, mutigen Kerl und hoffen sehr, dass er uns noch lange in intakter Umgebung begleiten wird. „Froggy for president“ 😎

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  2. ganz dem frosch eigen ist seine geburt im Wasser (verdickt als schleim) und seine athmung, die als kiemenathmung beginnt und sich während seiner evolution, dem zu sich selbst kommen zur lungenathmung weiterentwickelt …
    er ist ganz und gar ein schwellenwesen

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      Sehr gut und wichtig, was du hinzufügst! Danke. In der Tat ist der Frosch zum Beispiel in ‹Dornröschen› ein Geburtssymbol:
      [Vor Zeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag “ach, wenn wir doch ein Kind hätten!” und kriegten immer keins. Da trug sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, dass ein Frosch aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach “dein Wunsch wird erfüllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen.” Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, dass der König vor Freude sich nicht zu lassen wusste und ein großes Fest anstellte.] — Geburtssymbol ist denn auch das Aus-dem-Wasser-Steigen selbst. Viele Geschichten beginnen damit, dass der Held oder die Heldin aus dem Wasser (aus dem Meer, Fluss, Regen…) steigt; zum Beispiel König Ödipus, was ‹Kind aus dem Wasser› heißt (und nicht wie anderswo behauptet ‹Schwellfuß›), Achilles, Geburt der Venus et alter. — Das Symbol erklärt sich dadurch, dass wir alle in doppelter Hinsicht aus dem Wasser kommen: in phylogenetischer, stammesgeschichtlicher Hinsicht stammt alles Leben aus dem Wasser, und aus ontogenetischer Sicht stammt jeder und jede persönlich aus dem Wasser, nämlich aus dem Fruchtwasser.
      Danke nochmals für deine geschätzte exquisite Ergänzung!

  3. Sehr interessant und lustig! Aber warum wohl Aesop und La Fontaine ausgerechnet den Frosch zum Angeber und Möchtegern erkoren haben?!
    Wegen seiner Kleinheit? Oder reizte sie das grosse Maul dazu?😄

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      Die Wahl bestimmter Tiere als Symbole in den verschiedenen Sprachen und deren Literaturen geht zum Teil auf Universalien zurück, das heißt auf Assoziationen, die diese Tieren bei Menschen grundsätzlich und unabhängig von ihrer Kultur auslösen. Der Löwe ist stark, wirkt aber ruhig und besonnen, das Lamm ist wehrlos und muss beschützt werden. Adere Tiere haben in verschiedenen Kulturen hingegen eine ganz verschiedene Bedeutung. Ein Kamel erweckt bei Europäern den Eindruck, mit seiner eigentümlichen Gangart nicht vornehm zu sein wie ein trabendes oder galoppierendes Pferd, und die verschließbaren, höher als die Augen liegenden Nüstern verleihen dem Kamel ein ‹hochnäsiges› Aussehen. Im ostarabischen und persischen Raum ist das Kamel aber vor allem ein wichtiges Nutztier, das dem Menschen das Leben angenehmer macht oder sogar überhaupt ermöglicht. So erklärt sich sein diametral entgegengesetzter metaphorischer Sinn in erotischen Sprachen und afghanischen Märchen. — Der Frosch ist ein Tier, über das man in der Regel nicht sehr viel weiß und dem man keine bestimmten Eigenschaften und Charakteristiken zuweist. Trotzdem ist es irgendwie faszinierend und stimuliert die Fantasie von Fabeldichtern und Märchensammlern. So steht der Frosch in verschiedenen Redewendungen, in Sprichwörtern, Fabeln und Märchen als Symbol für völlig verschiedene Eigentümlichkeiten; bei den Gebrüdern Grimm sogar innerhalb ihrer «Kinder- und Hausmärchen». Der Frosch ist sozusagen ein polymetaphorischer Symbol-Joker, der je nach Bedarf als Geburtssymbol aus dem Wasser steigt und einer Königin mitteilt, dass sie ein Kind bekommen wird, oder als leicht ekliges Wesen verspricht, sich zum Prinzen zu wandeln, wenn die Prinzessin ihre Abneigung überwindet.

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