Wer waren die Drei Könige und wenn ja, wie viele?

Alberigo Tuccillo Geschichte, Gesellschaft, Sprache 2 Kommentare

Zum Dreikönigsfest habe ich aus drei (!) Gründen eine besondere Beziehung: Erstens bekamen wir, meine Schwester und ich, in süditalienischer Tradition an Heiligabend jeweils keine Geschenke. Geschenke gab es erst am 6. Januar, zu der ‹Befana›, zu der ‹Epifania›, eben dem Drei-Königs-Fest. Zweitens hatte ich schon als Kind eine unfehlbare, absolut sicherer Methode entwickelt — die ich hier selbstverständlich nicht verrate! —, um am noch intakten Drei-Königs-Kuchen festzustellen, wo der König steckte. Drittens ist der 6. Januar der Geburtstag meines geliebten Bruders!

Es bricht mir nun selbst das Herz, aus sprachgeschichtlicher Sicht den Drei-Königs-Mythos etwas entzaubern zu müssen. Aber wer fürchtet, einen Brauch nicht mehr pflegen und genießen zu können wie vorher, wenn man von ein paar unumstößlichen Fakten vernimmt, soll diesen Artikel ignorieren und stattdessen alles richten, damit es dann am 6. Januar ein schönes Familienfest gibt.

Jahrhunderte lang waren die im nächsten Absatz zitierten Sätze die einzige Textstelle, in der die Geschichte um die vermeintlichen Könige überhaupt erwähnt war. Darüber hinaus interessierte sie weder Gläubige noch die Theologie. Ich füge der deutschen Übersetzung aus Matthäus 2,1-12 auch den griechischen Text der Septuaginta, der ältesten überlieferten Fassung des Neuen Testaments hinzu. Der griechische Text dient lediglich dazu, Interessierten die Möglichkeit zu geben, die angestellten sprachgeschichtlichen Gedanken zu überprüfen. Selbstverständlich kann man ihn überspringen.

Als nun Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa, in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem, die sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Denn wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen und sind gekommen, um ihn anzubeten! Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er ankam und über dem Ort stillstand, wo das Kind war. Als sie nun den Stern sahen, wurden sie sehr hocherfreut; und sie gingen in das Haus hinein und fanden das Kind samt Maria, seiner Mutter. Da fielen sie nieder und beteten es an; und sie öffneten ihre Schatzkästchen und brachten ihm Gaben: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und da sie im Traum angewiesen wurden, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg zurück in ihr Land.

Τοῦ δὲ Ἰησοῦ γεννηθέντος ἐν Βηθλέεμ τῆς Ἰουδαίας ἐν ἡμέραις Ἡρῴδου τοῦ βασιλέως, ἰδοὺ μάγοι ἀπὸ ἀνατολῶν παρεγένοντο εἰς Ἱεροσόλυμα, λέγοντες· ποῦ ἐστιν ὁ τεχθεὶς βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων; εἴδομεν γὰρ αὐτοῦ τὸν ἀστέρα ἐν τῇ ἀνατολῇ καὶ ἤλθομεν προσκυνῆσαι αὐτῷ. Άκούσας δὲ ὁ βασιλεὺς Ἡρῴδης ἐταράχθη καὶ πᾶσα Ἱεροσόλυμα μετ‘ αὐτοῦ, καὶ συναγαγὼν πάντας τοὺς ἀρχιερεῖς καὶ γραμματεῖς τοῦ λαοῦ ἐπυνθάνετο παρ‘ αὐτῶν ποῦ ὁ Χριστὸς γεννᾶται. Οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ· ἐν Βηθλέεμ τῆς Ἰουδαίας· οὕτως γὰρ γέγραπται διὰ τοῦ προφήτου· Καὶ σύ, Βηθλέεμ γῆ Ἰούδα, οὐδαμῶς ἐλαχίστη εἶ ἐν τοῖς ἡγεμόσιν Ἰούδα· ἐκ σοῦ γὰρ ἐξελεύσεται ἡγούμενος, ὅστις ποιμανεῖ τὸν λαόν μου τὸν Ἰσραήλ.

Zunächst fällt auf, dass mehrmals das Wort ‹βασιλεὺς› [basiläus] (König) vorkommt. Als König werden im Text jedoch nicht die Weisen aus dem Morgenland bezeichnet, sondern auf der einen Seite Herodes, auf der andern Seite der ‹neugeborene König der Juden›, also Jesus. Die Protagonisten dieser kurzen Geschichte selbst werden ‹μάγοι› [mágoi] genannt. Das Wort ‹μάγοι› [mágoi], Plural von ‹μάγος› [mágos] ist im Griechischen jener Zeit ein nicht übliches Wort, obwohl sich später davon in den indoeuropäischen Sprachen die Wörter ‹Magier›, ‹Magie›, ‹magisch› ableiten werden. Es handelt sich zunächst um eine Gräzisierung eines persischen Wortes ‹ماد› [mād], welches ursprünglich die Medier, also die Bewohner Mediens allgemein, später zoroastrische Priester im Speziellen und noch später Seher, Traum- und Sterndeuter bezeichnete. Jedenfalls ist keine Rede davon, dass es Könige gewesen sein sollen! Ebenso klar ist, dass Matthäus ihre Zahl nicht nennt. Dass Jahrhunderte später daraus ‹die drei Weisen› wurden, kann mehrere Gründe haben. Eine persische Quelle erhöht jedenfalls im 7. Jahrhundert ihre Zahl auf zwölf.

Weniger kurios ist aus linguistischer Sicht die Sache mit dem Stern, obwohl sie Theologen und illustren Astronomen, darunter auch Johannes Kepler, lange Kopfzerbrechen bereitet hat und manchem noch heute bereitet. Das Wort ‹ἀστέρα› [astéra] bezeichnet ganz undifferenziert alle Himmelskörper: den Mond, die Sonne, die Sterne, die Planeten, sogar Sternschnuppen. Da es keine Himmelskörper gibt und je gab, die eine gewisse Zeit lang zu einer bestimmten Stadt führen und dann über dem Dach eines Stalls schweben bleiben, ist ziemlich offensichtlich, dass es sich in dieser Erzählung um ein metaphorisches, in der damaligen Gepflogenheit absolut übliches narratives Mittel und nicht um ein astronomisches Phänomen handelt. Dass schließlich aus dem Stern in der Renaissance ein Komet wurde, ist hingegen linguistisch interessant. Ein anonymer Mönch aus der Benediktiner-Abtei Montecassino unternahm im 6. Jahrhundert den ambitiösen Versuch, die Evangelien im Versmaß gebunden aus dem Griechischen ins Lateinische zu übertragen. Ein Werk, das er wahrscheinlich nicht vollendet hat — jedenfalls ist davon nur ein Fragment erhalten. An der Stelle, wo der fleißige und ehrgeizige Mönch das Wort ‹ἀστέρα› [astéra] (Himmelskörper) übersetzen musste, passte ihm aus metrischen Gründen das zweisilbige lateinische Wort ‹stella› nicht in den Vers. Abhilfe fand er im dreisilbigen Wort und seiner Ansicht nach Synonym ‹cometa›. Mehr als ein halbes Jahrtausend später tauchte die Handschrift in einer florentinischen Bibliothek auf, wo sie vermutlich in Giottos Hände geriet — nicht belegt! —, der über dem Stall in Betlehem einen Kometen malte, was Myriaden von italienischen und flämischen Malern übernahmen. 

Nun hinderte aber die drei Könige, die weder bekannt noch heilig noch drei und schon gar keine Könige gewesen, weder einem Stern noch einem Kometen je gefolgt waren und vermutlich nie existiert hatten, nichts daran, dreihundert Jahre später ihre Gebeine als kostbare Reliquien auf den einschlägigen Markt zu bringen. Der Überlieferung zufolge soll die Heilige Helena, Mutter des Kaiser Konstantins, um das Jahr 326 von Konstantinopel nach Palästina gereist sein, dort die Reliquien aufgefunden und an sich genommen haben. Der Mailänder Bischof Eustorgius I. soll die Gebeine im Lauf des 4. Jahrhunderts aus Konstantinopel nach Mailand geholt haben, wozu es jedoch keine Quellen gibt. Im 6. Jahrhundert in einem Text des Bischofs von Mailand, Johannes von Mailand, bekommen die mysteriösen Gestalten sogar Namen: Caspar, Melchior und Balthasar. Es gibt jedoch keine historischen Aufzeichnungen darüber, wer wann und aus welchem Grund diese Namen den drei «Königen» gegeben hat. In Mailand wurden die Gebeine bis zum Jahr 1158 in der Kirche Sant’Eustorgio außerhalb der Stadt aufbewahrt. 

Als Friedrich Barbarossa, der gute Christ, Mailand dem Erdboden gleichmachte, versteckte man die Reliquien unter dem Glockenturm der Kirche San Giorgio al Palazzo. Dort blieben sie, bis Friedrich Barbarossa — wie gesagt: ein guter Christ — sie nach der kompletten Zerstörung der Stadt Ende März 1162 dem Kölner Erzbischof Rainald von Dassel schenkte.

Der Dreikönigenschrein im Kölner Dom ist ein als Goldschmiedearbeit hergestelltes Reliquiar aus dem Ende des 12. Jahrhunderts. Er dient der Aufbewahrung der Gebeine der «Heiligen Drei Könige», die seit dem 13. Jahrhundert in der römisch-katholischen Kirche als Reliquien verehrt werden. Außerdem enthält der Schrein die Gebeine von Gregor von Spoleto sowie weitere Teile, die nicht mehr zuzuordnen sind, lange jedoch den Heiligen Felix und Nabor zugeschrieben wurden, denen auch ein gotisches Fenster in der Michaelskapelle gewidmet ist.

Der Schrein, der etwa zwischen 1190 und 1225 von dem Goldschmied Nikolaus von Verdun gefertigt wurde, gilt als das größte und künstlerisch anspruchsvollste Reliquiar, das aus dem Mittelalter erhalten ist. Er ist zweigeschossig in Form einer Basilika aufgebaut und mit goldenen Figuren, Edelstein-Schmuck und Email verziert, die die christliche Heilsgeschichte von den Anfängen des Alten Testaments bis zum Jüngsten Gericht illustrieren.

Eine lustige Nebengeschichte: Mein Lieblingsfantast Marco Polo berichtet Ende 13. Jahrhundert in seinem Reisebericht ‹Il Milione›, er habe in Persien persönlich das Grab der Heiligen Drei Könige besucht. Nun, Gerippe von Königen, die nicht heilig, nicht drei und nie Könige gewesen waren, können sich offenbar in Persien und in Köln gleichzeitig aufhalten.

Wie es zum Brauchtum um die liebe italienische Hexe, la Befana, kam, die den Kindern am Dreikönigstag Geschenke bringt, werde ich in einem eigenen Artikel erzählen.

Kommentare 2

  1. Als Neo-Italiener interessiert mich die Geschichte hinter der Befana natürlich viel heftiger 😉
    Zum Himmelskörper welcher Art auch immer über der Region Bethlehem zu jener Zeit wüsste vermutlich – ich kann mich nicht mehr genau an die Lektüre erinnern – das wissenschaftliche enfant terrible Immanuel Velikovsky erhellendes zu berichten.
    Sei’s drum, mir können eh alle Priester, Heiligen, Könige et cetera den Buckel runter rutschen; nur bei der Befana bin ich mir noch nicht ganz sicher, solo per precauzione, per intenderci 😉

    1. Post
      Author

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert