Wilhelm Herschel

Alberigo Tuccillo Geschichte, Musik, Wissenschaft Schreibe einen Kommentar

Um es gleich vorwegzunehmen: Ja, ich bin mir durchaus bewusst, dass diese meine Einleitung in sich widersprüchlich erscheinen muss. Doch ich vertraue darauf, dass sich der Widerspruch schließlich auflösen und meine Intention sich klären wird. — Der Name Friedrich Wilhelm Herschel ist wohl den meisten bekannt, zumindest jenen, die Kreuzworträtsel lösen. So berühmt dieser Mann aber auch ist, wer er eigentlich war, wissen viele nicht. 

Wilhelm Herschel kam 1738 in Hannover zur Welt. Sein Vater, Isaak Herschel, war Militärmusiker, und über seine Mutter, Anna Ilse Moritzen, weiß man fast nichts. Die Familie war arm und Wilhelm würde später über seine Kindheit und frühe Jugend sagen, ‹Eine Geige und einige vergilbte Notenbücher› seien zu jener Zeit sein ‹ganzer Reichtum› gewesen.

Den ersten Musikunterricht bekam er von seinem Vater. Später hatte er immer wieder auch andere Lehrer — darunter jedoch keine bedeutenden und prägenden; er blieb im Wesentlichen Autodidakt. Er spielte neben Violine auch Cello, Oboe und Orgel. Um etwas Geld zu verdienen, trat er mit vierzehn Jahren als Oboist und Violinist der ‹kurhannoverschen Fußgarde› bei; einer militärischen Einheit des Kurfürstentums Braunschweig-Lüneburg. Bei Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs 1756 — da war Wilhelm achtzehn Jahre alt —, bevor die französischen Truppen 1757 die Stadt Hannover besetzten, wurde sein Regiment nach England verlegt. Von 1714 bis 1837 war der Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, der König von Hannover, nämlich gleichzeitig König von Großbritannien, das damals mit Herschels Heimatland Hannover in Personalunion regiert wurde. Im Herbst 1758 kehrte der inzwischen Zwanzigjährige mit dem Regiment nach Hannover zurück. Nachdem er die Armee verlassen hatte, zog er zusammen mit seinem Bruder Jacob, der ebenfalls Musiker war, wieder nach London. Dort fand er eine Arbeit als Notenkopist. Ab 1760 fungierte er als Ausbilder der Durham Militia, einem wichtigen Militärorchster mit eigener Musikschule. 1762 bekam er den Rang des Direktors der Subskriptionskonzerte in Leeds und wandte sich 1766 nach Halifax, um für wenige Monate als Organist an der dortigen Parish Church zu wirken. Die Stadt Bath (Somerset) gehörte zu jener Zeit zu den Zentren des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens Englands. Wilhelm trat schon bald in das dortige Orchester ein, das zu den besten Europas, mithin der Welt zählte, und wurde noch im selben Jahr dessen Leiter. Gleichzeitig versah er ab Oktober 1766 das Amt des Organisten an der Bather Octagon Chapel. Außerhalb der Spielzeit in Bath gastierte er mit seinem Orchester unter anderem im Theatre Royal in Bristol; dort und in Bath leitete er während der Fastenzeit die Oratorien-Aufführungen und einige Uraufführungen eigener Werke.

Zu komponieren hatte er bereits früh in Hannover begonnen, doch die Mehrzahl seiner größeren Kompositionen schrieb er in England zwischen 1759 und 1769. Ab 1772 lebte auch seine jüngere Schwester Caroline Herschel bei ihm in Bath, die bei seinen Konzerten als Sängerin auftrat.

Die ersten musikalischen Werke Wilhelm Herschels stehen noch ganz in der Tradition des sogenannten norddeutschen ‹empfindsamen Stils› — einer musikalischen Stilrichtung, die zwischen 1720 und 1730 in Norddeutschland sozusagen als Vorbote der Klassik die Barockmusik ablöste. 

Zum echten und damals berühmten Vertreter der Klassik avancierte Herschel vor allem mit dem ersten Oboenkonzert in Es-Dur und dem ersten Viola-Konzert in d-Moll, beide aus dem Jahr 1759. Raffinierte Anwendungen des Kontrapunkts und unvermittelte harmonische Entwicklungen mit Chromatik finden sich bereits in seinen früheren Werken. Diese für seine Musiksprache typische Charakteristik baute er stetig aus. Wohl durch Anregungen der Kompositionen von Johann Christian Bach und Carl Friedrich Abel gelangte er später zu einem immer galanteren Stil mit oftmals schlichter Harmonik. Gilbert Stöck von der Universität Leipzig schrieb 2005 über Herschels spätere Kompositionen: «Auffällig sind in diesen Werken die manchmal differenzierten Klangeffekte und das Bestreben des Komponisten, durch einen motivischen Bezug in mehrsätzigen Werken einen inneren Zusammenhang herzustellen.» — Erneut eine Vorwegnahme, denn während der Romantik, etwa bei Beethoven, würde dies allgemein üblich werden. 

Wilhelm Herschel kehrte nicht wieder nach Hannover zurück. Er blieb, lebte und arbeitete fortan in Slough, bis er siebenundachtzigjährig am 22. August 1822 starb. — Manche seiner Werke werden noch gelegentlich aufgeführt.

Gab es da nicht einen Namensvetter und Zeitgenossen, der es auf einem ganz anderen Gebiet zu Ruhm und Ehre brachte? Hatte der berühmte Astronom Sir William Herschel, der zur selben Zeit lebte, seine Wurzeln nicht ebenso in Hannover wie der Komponist? — Nein! Es handelt sich weder um einen Namensvetter noch um einen Zeitgenossen! Der Komponist und der Astronom sind ein und dieselbe Person! Da aber über den Astronomen, der den Planeten Uranus, dessen Ringsystem und dessen Monde Titania und Oberon, darüber hinaus die Saturn-Monde Mimas und Enceladus entdeckte, Verteilung und Dynamik von Doppelstern-Systemen beschrieb, als Erster den Einfluss der Sonne auf das Klima der Erde in Diskussion brachte, sich als einer der Ersten bewusst wurde, dass wir wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit umso weiter in die Vergangenheit blicken, je tiefer wir mit der Betrachtung in den Kosmos vordringen, unzählige technische Verbesserungen an den Teleskopen seine Zeit vornahm und vieles, vieles mehr… da über diesen genialen Wissenschaftler die meisten sowieso viel mehr wissen als ich, habe ich mich hier darauf beschränkt, sein Alter Ego zu würdigen, den vielseitigen Musiker, der mir ein bisschen näher liegt als der Sternforscher und der — im Schatten seiner eigenen überragenden Genialität als Astronom — als Komponist weniger berühmt geblieben ist, als er meiner Ansicht nach verdiente.

Hier kann man in Herschels Klangwelten hineinhören:

https://www.youtube.com/watch?v=RIy3p0k-WDo&list=OLAK5uy_l35Nt1rs5n-XLR-d1C9Z4gsTfqX9p23A4

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